NOTIERT IN BERLIN

Die Mauer kehrt zurück

Auch wenn Berlin nicht in Belgien oder der Schweiz liegt: Das Schokoladenhaus von Rausch direkt am Gendarmenmarkt zählt zu den Touristenattraktionen der Stadt. Der Name ist Programm. Dorthin zieht es Schokoladenfreunde aus aller Welt, um sich dem...

Die Mauer kehrt zurück

Auch wenn Berlin nicht in Belgien oder der Schweiz liegt: Das Schokoladenhaus von Rausch direkt am Gendarmenmarkt zählt zu den Touristenattraktionen der Stadt. Der Name ist Programm. Dorthin zieht es Schokoladenfreunde aus aller Welt, um sich dem Genuss der Variationen in Kakao hinzugeben. In meterlangen gläsernen Vitrinen präsentiert sich eine herrliche Auswahl. Pralinen sind in militärischer Formation sorgsam aufgereiht. In Platten aus Schokolade aller Schattierungen vereinen sich Nüsse und Mandeln. Sie werden in Stücke gebrochen und nach Gewicht verkauft. Sie bergen auch Köstlichkeiten wie Karamell, zerstoßenen Kaffee oder exotischen Pfeffer. Kandierte Orangen, Äpfel oder Ananas tragen einen zarten dunklen, blonden oder weißen Mantel. Erfindung und Markenzeichen von Rausch ist die Plantagenschokolade – aus diversen Regionen der Welt bieten die kleinen Barren reiner Sorten ein Geschmacksspektrum, das auch Weinkenner erfreuen dürfte.Auch für Reisegruppen ist das Haus Rausch ein beliebtes Ziel, weil dort Berliner Sehenswürdigkeiten in Schokolade gegossen zu bewundern sind – maßstabsgetreu verkleinert, aber immer noch in imposanter Größe. “Bitte nicht berühren” steht auch sicher gutem Grund neben dem mit Schokoladenquadriga gekrönten Brandenburger Tor, dem Reichstag samt moderner Kuppel oder der von Egon Eiermanns Nachkriegsarchitektur umbauten Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.Ein für Berlin bedeutendes Bauwerk aber fehlt bei Rausch – die Mauer. Auch in der Stadt selbst sind davon nur noch sorgsam gehütete Reste zu finden: an der Gedenkstätte in der Bornholmer Straße, wo das DDR-Regime mit der Grenzbefestigung unerbittlich einen Straßenzug der Fahrbahn entlang teilte; an der Spree die East Side Gallery, wo die Mauer als Leinwand fungierte; am heutigen Bundesfinanzministerium in der Niederkirchnerstraße, von Mauerspechten durchlöchert und weit entfernt von dem, was einst Schrecken in der geteilten Stadt auslöste. Den größten Teil der verhassten Mauer hatten die Berliner nach der Wende 1989 schnell abgebrochen.Das wird sich nun ändern. Die Mauer kehrt zurück. Der US-Süßwarenkonzern Mars – proud to announce – kündigte dieser Tage enthusiastisch an, dass seine Retailsparte den ersten “M&M’s Store” in ganz Kontinentaleuropa in Berlin eröffnen wird. Das Wunderland für Schokolinsen in allen Regenbogenfarben soll 2021 auf fast 3 000 Quadratmetern am Ku’damm entstehen, der Prachtmeile des Berliner Westens. Eine der Hauptattraktionen preisen die PR-Berater von Mars besonders an: die “legendäre ,Wall of Chocolate'”. Dies ist keine Erfindung speziell für Berlin. Die “Wall” gibt auch schon in den bestehenden Shops in New York, Las Vegas, London und Schanghai. Als ausschlaggebend für Berlin nennt Mars die “lebendige Kultur” der meistbesuchten europäischen Metropole. Die lebendige und wechselhafte Geschichte Berlins studieren die Marketingleute aus den USA vielleicht auch noch. Bei der Aversion der Berliner gegen die Mauer könnte es hilfreich sein.