Die Mittelschicht als Lastesel der Nation
Die Mittelschicht als Lastesel der Nation
Die Mittelschicht als Lastesel der Nation
Eine OECD-Diskussion über die richtigen Reformen zur Sicherung der fiskalischen Tragfähigkeit Deutschlands
Staatliche Mehrausgaben wegen Infrastruktur und Rüstung sowie die demografischen Belastungen müssen in absehbarer Zeit wieder aus dem Kernhaushalt finanziert werden – möglichst ohne Schulden. An welchen Stellschrauben man drehen muss.
lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt
An der Erbschaftssteuer und am Ehegattensplitting scheiden sich die Geister. Für die einen ist die Erbschaftsteuer schon deshalb ungerecht, weil es sich um bereits versteuertes Vermögen handelt, für die anderen ist es eine Frage der Gerechtigkeit, weil durch niedrige Steuerbelastung von leistungslosem Einkommen schwächere Schultern mehr tragen müssten. Und das Ehegattensplitting ist für die einen die Wahl des Lebensmodells und insofern Ausdruck kultureller und persönlicher Selbstbestimmung, die anderen werfen vor, dass dadurch andere Lebensmodelle diskriminiert und die ökonomischen Anreize falsch gesetzt würden.
Faktor Arbeit als Zahlmeister
Einigkeit scheint unter den Teilnehmern einer Diskussion der OECD allerdings zu herrschen, wenn es um die zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung der Mittelschicht geht. Der Faktor Arbeit, so OECD-Ökonom Robert Grundke, werde zu stark zur Staatsfinanzierung herangezogen, während Kapital und Vermögen besser wegkommen. Ein Vergleich des Steueranteils nach Aufkommensarten zeigt denn auch, dass Deutschland Vermögen und die Gewinne von Unternehmen steuerlich eher verschont, während der Fiskus beim Einkommen stärker als im OECD-Schnitt zulangt (Grafik).

Grundke votiert für eine Verbreiterung der Steuerbasis, wie sie von der Industrieländervereinigung mit Blick auf Deutschland schon länger gefordert wird. Doch vielschichtige politische Einflüsse, wie man zuletzt bei der Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie gesehen habe, würden immer wieder für einzelne Gruppen Sonderregelungen geltend machen und politisch auf Verständnis stoßen.
Besserstellung für Handwerker
Insgesamt hält er die Wirkung der Steuervergünstigungen letztlich für überschätzt. Bei vielen der Vergünstigungen seien nicht jene Hoffnungen der Einführung erfüllt worden, sagt er und fordert eine Evaluierung. Dem stimmt auch Winfried Bernhard vom Finanzministerium Nordrhein-Westfalen zu. Die steuerliche Besserstellung für Handwerkerleistungen, sagt er, habe die Schwarzarbeit nicht verhindert, wie eigentlich gedacht, sondern sei „zu einer allgemeinen Vergünstigung für das Handwerk geworden“. Selbst wenn die Politik diese Fehlwirkung gleichwohl gutheißen würde, so sollte sie auch dazu stehen, mahnt er.
Grundsätzlich, zeigt die OECD, kommen Unternehmen auch deshalb günstiger weg, weil sie im Gegensatz zu normalen Arbeitnehmern ihre Steuerlast leichter drücken können. Während die tariflichen Steuersätze in Deutschland im Ländervergleich weit über dem OECD-Schnitt liegen würden, argumentiert OECD-Fachmann Grundke, sei die effektive Steuerbelastung nach diversen Abschreibungen und Steueroptimierung schon viel niedriger.
Sonderstellung für Erbschaften
Noch deutlicher scheint das bei der Erbschaftsbesteuerung der Fall zu sein. Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit möchte keine drastische Erhöhung, sondern wirbt um eine restriktivere Handhabung der Ausnahmen. Michael Thöne vom Finanzwirtschaftlichen Forschungsinstitut der Universität Köln stimmt dem zu und spricht von einer „absurden Entlastung von Erbschaften“ bisher.
Um die fiskalische Stabilität Deutschlands zu erhalten, habe man nicht mehr den Luxus „groß auszuwählen“, warnt Thöne und plädiert für einen gesamtheitlichen Ansatz. Das gilt auch gerade bei den Sozialversicherungen: Die Aktiv- oder Aktienrente gingen in die richtige Richtung, sagt Ifo-Forscher Andreas Peichl, aber um eine Erhöhung des Renteneintrittsalters komme man nicht herum. Kleine Reformen retteten nicht das Gesamtsystem. In der Mittelschicht stünde die Belastung durch Sozialbeiträge der Steuerbelastung in nichts nach.