NOTIERT IN MOSKAU

Die Oligarchen im Dilemma

Wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk nahm es sich aus. Schön verpackt und dargereicht am 21. Dezember im Kreml. Alle waren sie gekommen, die Präsident Wladimir Putin geladen hatte. Geballtes Kapital an einem Tisch, die Oligarchen, die längst nur...

Die Oligarchen im Dilemma

Wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk nahm es sich aus. Schön verpackt und dargereicht am 21. Dezember im Kreml. Alle waren sie gekommen, die Präsident Wladimir Putin geladen hatte. Geballtes Kapital an einem Tisch, die Oligarchen, die längst nur noch politisch entmachtete Tycoons sind, in alphabetischer Sitzordnung um Putin herum aufgefädelt. Er wünsche ihnen anlässlich des Jahreswechsels nicht nur Erfolg, sagte der Kremlchef. Er habe die Regierung auch beauftragt, die Kriterien zur Auflage spezieller Staatsanleihen in ausländischer Währung zu definieren. In diese Papiere könnten dann russische Investoren ihr Geld anlegen. Es brauche, so Putin, einen für das Business angenehmen Mechanismus, um das im Ausland gelagerte Kapital gefahrlos nach Russland zurückzubringen.Die Tycoons selbst hatten die Regierung um einen gefahrlosen Transfer gebeten. Konkret geht es ihnen darum, dass dabei Clearinggesellschaften wie Euroclear und Clearstream umgangen werden und der Transfer über die eigene russische Nationale Abwicklungs- und Verwahrgesellschaft (NSD) getätigt wird. Nur so nämlich kann der Geldfluss vor dem US-amerikanischen Finanzministerium verborgen bleiben.Die russischen Großunternehmer fürchten die US-Administration derzeit wie der Teufel das Weihwasser. Das ist weiter nicht verwunderlich, schließlich muss die US-Administration Ende Januar dem Senat ihren Bericht darüber vorlegen, wie das am 2. August beschlossene neue Sanktionsgesetz im Detail umgesetzt werden kann, sprich welche juristischen Personen und Tycoons aufgrund ihrer besonderen Nähe zur russischen Staatsführung mit neuen Sanktionen belegt werden sollten. In dem Bericht sollten auch eine Vermögensschätzung der betreffenden Personen sowie Informationen über ihre Geldquellen und Geschäftsverbindungen außerhalb Russlands bereitgestellt werden.Neben einem Verbot der Einreise in die USA und der Geschäftstätigkeiten mit US-Firmen droht auch das Einfrieren von Vermögenswerten. Mit der partiellen Repatriierung des Kapitals würden sich die russischen Großunternehmer zumindest einen gewissen Schutz verschaffen, obwohl die Repatriierung wirtschaftlich nicht unbedingt Sinn ergibt. Noch befinden sich beide Länder im Poker, wie scharf man tatsächlich zu schießen bzw. zurückzuschießen gedenkt. Und allgemeiner Einschätzung zufolge wird sich die neue Liste mit der bereits bestehenden Liste sanktionierter Personen aus Putins engstem Umfeld weitgehend decken. Dennoch sind die Tycoons hellhörig und nervös wie seit Jahren nicht.Sie befinden sich im Dilemma. Im Großen und Ganzen nämlich stehen sie vor der Frage, welcher Staatsmacht bzw. welchem System gegenüber sie Loyalität demonstrieren sollten. Fallen sie durch besondere Nähe zur Kremlführung auf, steigt die Wahrscheinlichkeit, auf der Sanktionsliste zu landen und so zusätzliche Risiken für das eigene Geschäft in der Zukunft einzugehen. Wollen sie die damit verbundenen Risiken vermeiden und Distanz zu Russlands politischen Machthabern und ihren geopolitischen Manövern (vor allem in der Ostukraine) signalisieren, droht ihnen im Inland, wo – wie sich zuletzt an mehreren Fällen zeigte – nicht einmal mehr die Unauffälligen und politisch Korrekten vor Enteignung und Verfolgung sicher sind, Ungemach.Schon Ende November hatte Putins Sprecher Dmitri Peskow auf eine Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters die Mutmaßung bestätigt, dass die USA mit den Sanktionen gerade angesichts der russischen Präsidentenwahlen am 18. März das Ziel verfolgen, reiche Anhänger Putins gegen ihn aufzuwiegeln. Von einer zunehmenden Abtrünnigkeit der Großunternehmer, wie sie Reuters behauptete, wollte Peskow allerdings nichts wissen.Sich möglichst im Hintergrund zu halten und in keiner Weise aufzufallen scheint die Devise der Tycoons geworden zu sein, um auf der Gratwanderung zwischen geschäftlichem Fortkommen und der Loyalität zu Putin nicht abzustürzen. Es ist nur zu verständlich, dass keiner die Wahl zwischen beiden Extremen treffen will und daher lieber nicht mehr allzu oft mit Putin in der Öffentlichkeit erscheint. Aber das Versteckspiel wird am Ende wohl nicht viel nützen. Die Nähe zu Putin kann binnen weniger Monate nicht einfach wegsimuliert werden.