InterviewAndreas Schwab

„Ein Meilenstein der europäischen Digitalpolitik“

Nach Ansicht des CDU-Europaabgeordneten funktioniert der Digital Services Act und auch der Digital Markets Act zeige Wirkung. Trotzdem gibt es noch Nachbesserungsbedarf.

„Ein Meilenstein der europäischen Digitalpolitik“

Im Interview: Andreas Schwab

„Ein Meilenstein der europäischen Digitalpolitik“

Der CDU-Europaabgeordnete über den Digital Markets Act und europäische Souveränität – Wirkungsvolles Instrument, aber mit Nachbesserungsbedarf

Der Digital Services Act funktioniere, und auch der Digital Markets Act zeige Wirkung – so lautet die Einschätzung des CDU-Europaabgeordneten Andreas Schwab, des Sprechers der konservativen Parteienfamilie EVP im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Aber Schwab erkennt auch Nachbesserungsbedarf, vor allem, was die weitere Harmonisierung des digitalen Binnenmarkts angeht.

Herr Schwab, technische Souveränität und Stärkung der digitalen Souveränität sind Ziele, die die EU mit verschiedenen Maßnahmen verfolgt? Welche davon ist oder welche davon sind besonders wichtig und dringlich?

Der Aufbau einer souveränen und sicheren digitalen Infrastruktur ist für Europa von zentraler Bedeutung, insbesondere in sensiblen Bereichen wie der Speicherung und Verarbeitung von Zolldaten in der Cloud. Mit Sorge blicke ich auf die zunehmenden Abhängigkeiten, die sich durch Marktkonzentration und ausländische Kontrolle in strategisch kritischen Bereichen wie Betriebssystemen, Rechenzentren, Cybersicherheit und Cloud-Diensten verfestigt haben. Diese Entwicklung gefährdet nicht nur unsere wirtschaftliche Handlungsfähigkeit, sondern auch unsere demokratische Selbstbestimmung.

Wie lautet Ihre Reaktion darauf?

Ich setze mich für eine eigenständige europäische digitale Infrastruktur ein, die auf offenen und datenschutzfreundlichen Technologien basiert. Zugleich braucht es eine Gesetzgebung, die diesen Anspruch politisch trägt. Sie muss unabhängig sein und dem Prinzip offener Märkte, fairem Wettbewerb sowie dem Schutz von Privatsphäre und Sicherheit verpflichtet bleiben.

Wie wirksam erweist sich Ihrer Einschätzung nach der Digital Services Act? Werden die damit verbundenen Ziele bislang erreicht?

Der Digital Services Act (DSA) ist ein Meilenstein der europäischen Digitalpolitik. Er schafft erstmals einheitliche Regeln für Plattformen in ganz Europa und definiert klar die Verantwortung für illegale Inhalte und Produkte. Entgegen teils heftiger Kritik aus den USA schränkt der DSA die Meinungsfreiheit nicht ein, sondern schützt sie, indem er sicherstellt, dass rechtswidrige Inhalte entfernt werden.

Das sehen nicht alle so.

Was im öffentlichen Raum verboten ist, darf auch im Internet keinen Platz haben. Der DSA stärkt zudem den Verbraucherschutz, verpflichtet sehr große Plattformen zu mehr Transparenz und Risikoprüfungen und verbietet beispielsweise Dark Patterns und personalisierte Werbung für Minderjährige.

Und hat das Wirkung?

Erste Verfahren – gegen Shein, Temu und TikTok – zeigen, dass auch die Durchsetzung funktioniert. So hat die EU-Kommission im 2023 ein Verfahren gegen Temu unter anderem wegen des Verkaufs illegaler Produkte und manipulativer Empfehlungssysteme eröffnet. Im Juli 2024 stellte sie vorläufig fest, dass Temu Risiken unzureichend bewertet und weiterhin unsichere Waren wie Babyspielzeug und Elektronik anbietet. Solche Verfahren belegen, dass der DSA wirkt. Um den DSA in der Praxis zu vollenden, sind nun noch insbesondere ein verbesserter Schutz für Minderjährige und rechtssichere Vorgaben für Influencer-Marketing erforderlich.

Und wie ist das mit dem Digital Markets Act? Bietet er Schutz gegen den Missbrauch der dominierenden Marktposition von US-Big-Tech?

Der DMA bietet wirksamen Schutz vor dem Missbrauch dominanter Marktpositionen durch sogenannte Gatekeeper. Mehrere Verfahren wurden bereits eröffnet, einige davon führten zu erheblichen Geldstrafen: So wurde Meta im April 2024 beispielsweise zu 200 Mill. Euro und Apple zu 500 Mill. Euro verurteilt. Infolge intensiver Gespräche mit der Europäischen Kommission hat Apple zuletzt konkrete Maßnahmen beschlossen, um zentrale Funktionen von iOS und iPadOS auch Drittanbietern zugänglich zu machen.

Wie sehen diese Maßnahmen aus?

Das bedeutet unter anderem: Erstens: iPhone-Nutzer können Push-Benachrichtigungen auf Smartwatches anderer Hersteller empfangen und beantworten. Zweitens: Kopfhörer und Smartwatches von Drittanbietern lassen sich einfacher mit Apple-Geräten koppeln. Und drittens: App-Entwickler können Alternativen zu Diensten wie AirDrop oder AirPlay integrieren und Nutzerinnen und Nutzern echte Wahlfreiheit bieten.

Wie bewerten Sie diese Anpassungen?

Diese Änderungen belegen: Der DMA ist kein Hemmnis für Innovation, sondern ein Treiber für mehr Vielfalt, technologischen Fortschritt und fairen Wettbewerb.

Wie effektiv und handlungsfähig zeigt sich die EU?

Dass die Europäische Kommission als alleinige Durchsetzungsbehörde fungiert, hat sich bislang als effektiv erwiesen. Gleichzeitig wäre bei bestimmten Fragen mehr Entschlossenheit wünschenswert, insbesondere bei offenen Fragen wie der Selbstbevorzugung von Google-Services, in denen bislang noch keine abschließenden Maßnahmen ergriffen wurden. Insgesamt zeigt der DMA, dass die Europäische Union regulatorisch handlungsfähig ist, um Machtmissbrauch im digitalen Binnenmarkt zu begrenzen und Innovation zu fördern. Zugleich bleibt auch Raum für ein ambitionierteres Vorgehen bei der Durchsetzung.

Wo erkennen Sie noch Nachbesserungsbedarf, um den Markt für digitale Dienste in Europa fair zu organisieren und neuen, innovativen Geschäftsmodellen aus Europa eine Chance zur Skalierung zu geben?

Nachbesserungsbedarf besteht vor allem bei der weiteren Harmonisierung des digitalen Binnenmarkts. Trotz bestehender EU-weiter Vorgaben erschweren nationale Unterschiede in der Umsetzung nach wie vor die Gründung und Skalierung innovativer Geschäftsmodelle. Besonders deutlich zeigt sich dies im Telekommunikationssektor, etwa bei Frequenzvergabe und Spektrumspolitik. Eine stärkere europäische Koordinierung würde Investitionen erleichtern und verlässliche Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende digitale Dienste schaffen. Darüber hinaus sind offene Schnittstellen, standardisierte Datenformate und klare Regeln zum Datenaustausch entscheidend, um Innovationen zu fördern und Monopolbildungen zu verhindern.

Und jenseits der technologischen Rahmenbedingungen?

Europäische Start-ups stehen im globalen Wettbewerb häufig vor strukturellen Finanzierungshürden. Es braucht zielgerichtete Förderprogramme, eine stärkere Mobilisierung von Risikokapital sowie vereinfachte regulatorische Verfahren, um die Skalierung junger Unternehmen erheblich zu erleichtern. Auch bürokratische Hürden bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen behindern die Expansion. Deswegen würden einheitliche Vorschriften in Bereichen wie Verbraucherschutz und Haftung den digitalen Binnenmarkt effizienter und fairer machen würden. Letztlich lebt der Markt für digitale Dienste vom Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer. Klare Vorgaben zu Datenschutz, Cybersecurity und dem transparenten Einsatz von KI sind daher unerlässlich, um dieses Vertrauen zu sichern und Europas digitale Souveränität zu stärken.

Wie ist Ihre Prognose im Drei-Jahres-Ausblick? Wird die EU digital abgehängt – oder hat sie gute Chancen, gegenüber den USA und China aufzuholen?

Der Drei-Jahres-Ausblick zeigt, dass die EU im digitalen Wettbewerb hinter den USA und China zurückliegt. Unser größter Wettbewerbsvorteil liegt im digitalen Binnenmarkt, der es Unternehmen ermöglicht, innovative Geschäftsmodelle grenzüberschreitend zu skalieren. Daher benötigen wir eine zukunftsgerichtete Digitalstrategie, die auf die konsequente Nutzung und Harmonisierung dieses Binnenmarkts ausgerichtet ist.

Was muss sich ändern?

Die EU muss die Geschwindigkeit beim Ausbau digitaler Infrastrukturen, bei der Harmonisierung regulatorischer Vorgaben und beim Vorantreiben von KI- und Cloud-Technologien deutlich erhöhen. Nur wenn es gelingt, bürokratische Hürden abzubauen, Investitionen in digitale Technologien und Start-ups zu fördern und den Binnenmarkt effektiv zu integrieren, wird Europa technologisch aufholen und im globalen Wettbewerb Boden gutmachen. Sollten wir dabei versagen, riskieren wir, dass der Rückstand weiter anwächst.

Sie setzen also vor allem auf den Binnenmarkt?

Der digitale Binnenmarkt ist Europas stärkste strategische Ressource. Wenn wir ihn entschlossen nutzen, regulatorische Prozesse effizienter gestalten und die digitale Infrastruktur zielgerichtet ausbauen, kann die EU den Anschluss nicht nur halten, sondern ihre Position im globalen Vergleich deutlich stärken.

Die Fragen stellte Detlef Fechtner

Die Fragen stellte Detlef Fechtner.