NOTIERT IN LONDON

Eine Insel im Wandel

Auf Deutschland kommt die größte Einwanderungswelle seit Jahrzehnten zu. So sagen es gerade Forscher des Instituts Kiel Economics nach einem Bericht im "Manager Magazin" voraus. Demnach werden bis 2017 rund 2,2 Millionen Menschen erwartet, darunter...

Eine Insel im Wandel

Auf Deutschland kommt die größte Einwanderungswelle seit Jahrzehnten zu. So sagen es gerade Forscher des Instituts Kiel Economics nach einem Bericht im “Manager Magazin” voraus. Demnach werden bis 2017 rund 2,2 Millionen Menschen erwartet, darunter viele Erwerbssuchende, die die desolate Lage auf den Arbeitsmärkten in Südeuropa über die Grenzen treibt. In Deutschlands Wirtschaft seien die Zuwanderer wegen des Arbeitskräftemangels in einigen Regionen und Branchen willkommen.Etwas weiter nordwestlich, in Großbritannien, sieht es anders aus. Die Insel hat in Sachen Immigration schon ein Rekordjahrzehnt hinter sich, wie das Boulevardblatt “Sun” in dieser Woche feststellte. Die seit 2010 amtierende liberal-konservative Regierung, die ein hohes Haushaltsdefizit abzubauen hat und dabei von einer immer längeren Konjunkturflaute ausgebremst wird, lenkt bereits um. Ungehinderten Zustrom von Menschen aus dem Ausland soll es nicht mehr geben, stattdessen nur noch “gezielte” Einwanderung. Selbst Vertreter der ehemaligen Labour-Regierung haben inzwischen Fehler in ihrer Migrationssteuerung eingeräumt. Diese gehören zu den Gründen, warum die letzten Unterhauswahlen verloren gingen. Zwar entstanden während der 13 Labour-Regierungsjahre fast 3 Millionen neue Arbeitsplätze. Diese wurden jedoch vorwiegend von Einwanderern besetzt. Die Regierung schaffte es nicht, britische Sozialleistungsempfänger in wachsender Zahl im Arbeitsmarkt unterzubringen. *Die Einwanderung des vergangenen Jahrzehnts hat das Bild Großbritanniens deutlich verändert. So nahm nicht nur die Bevölkerungszahl in England und Wales von 2001 bis 2011 um fast 8 % auf 56,1 Millionen zu, wobei das Wachstum zu 71 % von Zugezogenen mit Geburtsort außerhalb Großbritanniens getragen wurde. Wie soeben veröffentlichte Ergebnisse einer im März 2011 unternommenen Volksbefragung durch das nationale Statistikamt besagen, ist inzwischen auch weniger als jeder zweite Londoner ein gebürtiger Brite mit weißer Hautfarbe (45 %) – 2001 lag ihr Anteil noch bei 60 %. Nirgendwo sonst auf der Insel ist diese ethnische Gruppe bislang in der Minderheit. Zudem sind die in der Hauptstadt registrierten Bewohner, die nicht auf der Insel geboren wurden oder die nicht die britische Staatsangehörigkeit besitzen, mit 37 % bzw. 24 % am höchsten.In England und Wales nahm der Anteil der im Ausland geborenen Einwohner in der vergangenen Dekade im Vergleich mit vorherigen Jahrzehnten rasant von 9 auf 13 % zu. Damit liegen die beiden Länder unter den 27 Staaten der Europäischen Union (EU) zusammen an 9. Stelle – an der Spitze dieser Liste rangiert mit rund einem Drittel Luxemburg. Wer in Indien geboren wurde, aber nun in Großbritannien lebt, zählt sich nach wie vor zur größten Immigrantengruppe (694 000 Einwohner) auf der Insel. Polen machten von 2001 bis 2011 jedoch den größten Sprung nach vorn, von 58 000 auf 579 000 und Platz 3. Angesichts von insgesamt 3,8 Millionen Zuwanderern in diesem Zeitraum spricht die überparteiliche Denkfabrik MigrationWatch UK von “unhaltbaren” Zahlen. Doch insgesamt hat die Gesellschaft den starken Zustrom bemerkenswert stabil aufgenommen. *Freilich haben es Immigranten nach wie vor schwer, sich in die monolithische britische Gesellschaft zu integrieren – selbst dann, wenn sie sich assimilieren wollten. Hier wirkt sich, wie Landeskundler erklären, eine große kulturelle Homogenität aus, die sich über Jahrhunderte hinweg durch die Insellage sowie durch Orientierung an einer Staatskirche und der Dominanz Londons entwickeln konnte. Diese Distanz erklärt auch, warum es Zugewanderte in ihrer Mehrheit bevorzugen, unter ihresgleichen zu leben und die eigene Kultur und Religion in ethnischen Enklaven innerhalb der britischen Gesellschaft zu pflegen. Wie die Volksbefragung ergab, sind inzwischen – und erstmals überhaupt – mehr Menschen auf der Insel unverheiratet als verheiratet. Der Anteil derjenigen, die sich zum Christentum bekennen, fiel seit 2001 um 12 Punkte auf 59 %.