Im InterviewMatthew Ryan

„Eine Taube an der Spitze der Fed wäre gefährlich“

Die Fed unterschätzt die Gefahr eines neuen Inflationsschubs, meint Matthew Ryan von Ebury. Deswegen wäre es riskant, eine Taube an der Spitze der Fed zu haben.

„Eine Taube an der Spitze der Fed wäre gefährlich“

Im Interview: Matthew Ryan

„Eine Taube an der Fed-Spitze ist gefährlich"

Der Strategiechef des Finanzdienstleisters Ebury zur US-Geldpolitik und Trumps Einfluss auf die Zukunft der Notenbank

Matthew Ryan von der globalen Zahlungsplattform Ebury erwartet nach zwei weiteren Zinssenkungen vor Jahresende, dass die Fed 2026 dann innehält. Er fürchtet, dass die Notenbank die Gefahr eines neuen Inflationsschubs unterschätzt und warnt eindringlich vor personellen Eingriffen durch US-Präsident Trump.

Herr Ryan, dieser Tage kommt die US-Notenbank zur FOMC-Sitzung zusammen. Unter ungewöhnlichen Umständen, schließlich herrscht Shutdown. Was wird sie beschließen?

Trotz der noch fehlenden Daten zum Arbeitsmarkt gehen wir fest von einer weiteren Zinssenkung aus. Das ändert nichts daran, dass die Fed zur Zeit einen schwierigen Job hat. So gesehen handelt es sich derzeit um einen geldpolitischen Blindflug. Dennoch reichen die Daten der letzten Wochen noch aus, um eine weitere Lockerung im Oktober zu rechtfertigen. Entscheidend wird dann sein, wie viele harte Daten wir noch vor der FOMC-Sitzung im Dezember sehen werden. 

Die politischen Fronten sind aber festgefahren, für den Shutdown ist derzeit kein Ende in Sicht. Oder sind Sie diesbezüglich optimistischer?

Voraussagen kann ich das auch nicht, doch die Märkte sind zuversichtlich, dass der Verwaltungsstillstand in den nächsten Wochen beendet sein wird. Dann müssten wir bis Dezember genügend Daten haben, vor allem in Bezug auf den erstaunlich schwachen Arbeitsmarkt. Ich glaube nicht, dass es zu Überraschungen kommen wird, die einer weiteren Zinssenkung im Dezember im Wege stehen würden. Interessant ist dann, wie es 2026 weitergehen wird.

Die Notenbank räumt derzeit dem Jobmarkt die höchste Priorität ein.

Hat sich die Gewichtung des dualen Mandats von Inflationsbekämpfung in Richtung Vollbeschäftigung verschoben?

Die Notenbank räumt derzeit dem Jobmarkt eindeutig die höhere Priorität ein. Der Arbeitsmarkt hat sich nämlich dramatisch abgeschwächt. Das bezieht sich insbesondere auf die Revisionen durch das Bureau of Labor Statistics (BLS). Im Juni wurden laut BLS sogar 13.000 Stellen gestrichen, und im August kam es nur zu 22.000 Neueinstellungen. Bereits vor der Sitzung im September hinkten Notenbankchef Jerome Powell und seine Kollegen im FOMC mit Zinssenkungen hinter der Entwicklung am Arbeitsmarkt her.

Matthew Ryan ist Head of Market Strategy bei dem globalen FinTech Unternehmen Ebury. Mit der Konzernzentrale in London ist Ebury in 29 Ländern mit 40 Büros vertreten. Das 2009 gegründete Unternehmen hat sich auf Devisengeschäfte, internationale Transfers und Inkassolösungen sowie Kreditvergabe an kleine und mittelständische Unternehmen spezialisiert. Mehrheitseigentümer von Ebury ist die spanische Banco Santander.

Und wie sieht es mit der Inflation aus, wo der PCE-Preisindex sich an der Kernrate gemessen weiter um 3% bewegt?

Powell und andere Vorstandsmitglieder haben in den vergangenen Monaten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihnen die Teuerung keine allzu großen Sorgen bereitet. Insbesondere gehen sie davon aus, dass der inflationäre Effekt von US-Präsident Donald Trumps Einfuhrzöllen einmalig sein wird. Auch deuten die taubenhaften Äußerungen in Bezug auf den Arbeitsmarkt darauf hin, dass sie diesem größere Bedeutung beimessen. Unterm Strich erwarte ich zwei weitere Zinssenkungen in diesem Jahr. Das geht dann auch 2026 zunächst so weiter; allerdings mit geringerem Tempo. 

Powell hält die Inflationsimpulse für vorübergehend.

Powell rechnet mit einem „einmaligen Effekt“ der Zölle, der sich aber über mehrere Monate erstrecken kann. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das sehe ich ähnlich. Die Fed glaubt offenbar nicht, dass die Inflationseffekte in der Wirtschaft verwurzelt sein werden. Das würde aber anders kommen, sobald die höheren Inputkosten verstärkt auf die Verbraucherpreise durchschlagen. Das könnte wiederum zu höhere Lohnforderungen führen und wiederum die Inflation befeuern. Schließlich hatte Powell auch während der Corona-Pandemie zunächst von „vorübergehender Inflation“ gesprochen: Doch eingetreten ist das Gegenteil. Es besteht in der Tat das Risiko, dass sich die Geschichte wiederholt und sich die Teuerung festsetzt. Sollte das geschehen, dürfte die Notenbank mit Zinssenkungen 2026 weniger aggressiv vorgehen.

Trump betreibt ziemlich aggressiv die Politisierung der Notenbank und ihrer Geldpolitik. Wo führt diese Reise hin?

Es handelt sich um eine Einmischung seitens der Regierung, wie es sie seit der Gründung der Fed nicht gegeben hat. Mit Blick auf die kommenden 12 bis 18 Monate ist das eine unserer großen Sorgen bezüglich der US-Wirtschaft. Und ist auch einer der Gründe, weshalb wird dem Dollar eine andauernde Schwäche unterstellen. Zwar hat sich die Lage ein wenig entspannt, der Streit um den Verbleib von Lisa Cook im Fed-Vorstand vorläufig gelegt bis zum nächsten Gerichtsbeschluss im Januar, doch danach dürfte die Nervosität wieder zunehmen. Alle Aufmerksamkeit wird dann der Powell-Nachfolge gelten.

Was glauben Sie, wer den Job bekommen wird?

Die Märkte haben ein paar Favoriten, aber auf einen Namen kann ich mich da nicht festlegen, das ist zu ungewiss.  Ich gehe aber davon aus, dass er auf jeden Fall einen Kandidaten mit taubenhaften Neigungen nominieren wird – also zu einer deutlichen Lockerung der Geldpolitik neigt. Natürlich handelt es sich nur um einen Sitz im Vorstand. Doch als Vorsitzender wird der außerordentlichen Einfluss auf die Zinsbeschlüsse haben. Und eine Taube an der Spitze einer Notenbank ist grundsätzlich gefährlich.

Einen kompletten Verlust der Unabhängigkeit befürchte ich nicht.

Welche Gefahren?

Angenommen, es kommt zu einem Inflationsschub. Dann wäre es sehr riskant, wenn die Fed geradedann weiter Zinssenkungen beschließen sollte. Der Dollar würde weiter geschwächt, der Status von US-Staatsanleihen als „sicherer Hafen“ für Anleger könnte ins Wanken kommen, und die Nervosität an den Märkten würde Investoren nahelegen, massenweise Treasuries abzustoßen.

Ist die Zukunft der Fed als politisch unabhängige Institution unter Trump in Gefahr?

Einen kompletten Verlust der Unabhängigkeit befürchte ich nicht. Es gibt auch keine Marktreaktionen, die auf derlei Sorgen hindeuten. Hätten die Märkte große Angst vor einem völligen Verlust der Unabhängigkeit, wären während der letzten 12 bis 18 Monate schon die Inflationserwartungen deutlich höher gewesen. Sie sind aber stabil geblieben. Das könnte sich im neuen Jahr natürlich ändern, wenn Trump seinen Druck auf die Notenbank verstärkt.

Wird es ein Mar-a-Lago Abkommen geben, das Handelspartner zwingen könnte, ihre Währungen aufzuwerten?

Zunächst denke ich, dass Trump über den Wertverfall beim Dollar, den wir seit dem Inkrafttreten der meisten Zölle beobachten können, sehr glücklich sein wird. Selbstverständlich begrüßt die Regierung auch die Erlöse, die von den Abgaben in die Staatskasse gespült werden. Der schwache Greenback ist aber aus amerikanischer Sicht eine sehr begrüßenswerte Begleiterscheinung.  Ich glaube daher nicht, dass Trump seine handelspolitische Position aufweichen wird. So gesehen ist die Notwendigkeit eines getrennten Abkommens gar nicht unbedingt gegeben.

Die US-Wirtschaft hat bisher große Resistenz gezeigt.

Nächste Woche sollen neue Wachstumszahlen kommen. Wie wird sich die US-Wirtschaft dann weiterentwickeln?

Zunächst ist nicht ganz klar, ob die Daten wegen des Shutdowns tatsächlich veröffentlicht werden. Klar ist aber, dass die US-Wirtschaft bisher große Resistenz gezeigt hat – gegenüber den Zöllen und der Abschwächung am Jobmarkt. Wir rechnen für das dritte Quartal jedenfalls mit einer annualisierten Wachstumsrate um 2,0%. Doch 2026 gibt es dann Herausforderungen. Dazu zählen neben der Flaute am Jobmarkt die vergleichsweise hohen Zinsen, die erst später ihre Wirkung entfalten. Hinzu kommt, dass die US-chinesischen Handelsbeziehungen Risiken bergen. Vor allem dann, wenn China seine Monopolisierung seltener Erden als handelspolitische Waffe noch mehr einsetzen sollte. Unterm Strich ist zu erwarten, dass das US-Wachstum 2026 geringer ausfallen dürfte als im laufenden Jahr. 

Das Gespräch führte Peter De Thier.

Das Interview führte Peter De Thier.