Europa hat sehr viel geopolitisches Gewicht verloren
Im Interview: Guntram Wolff
Europa hat geopolitisches Gewicht verloren
Welche Folgen der Angriff der USA auf den Iran für den Dollar, die Weltmärkte und Europa hat
Der einflussreiche Brüsseler Ökonom kritisiert die Zauderhaftigkeit der europäischen Rüstungspolitik. Ohne glaubwürdige Abschreckung aus eigener Kraft könne Europa auch nicht viel zum Frieden beitragen.
Herr Wolff, die USA haben die Atomanlagen Irans bombardiert. Eine gute Entwicklung, weil eine Atombombe kein Thema mehr ist? Oder schlecht, weil sich der Krieg ausweitet?
Ich finde, das ist extrem schwierig einzuschätzen. Klar ist, dass das Mullah-Regime ein Problem für die ganze Region ist. Was aber niemand weiß, ist, ob sie schon vor dem Angriff viel hoch angereichertes Uran aus den Anlagen abziehen konnten. Wir wissen auch nicht, wie stark die Anlagen zerstört worden sind. Schließlich wissen wir auch nicht, ob die Wahrscheinlichkeit, dass das Regime am Ende vielleicht in einer Verzweiflungstat angereichertes Uran in einer Art schmutzigen Bombe nutzen wird, gestiegen oder gefallen ist. Insgesamt war es ein riskanter Schachzug von Trump, aber die Alternative wäre vielleicht noch riskanter.

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Was sind die unmittelbaren Folgen des Kriegs für die Weltwirtschaft? Inflation via Ölpreissprünge? Konjunkturschwäche wegen neuer Verunsicherung?
Die Märkte haben erstaunlich entspannt auf die neue Entwicklung am Wochenende reagiert. Die Einschätzung scheint wohl zu sein, dass der Iran wenige Optionen hat, wirklich den Ölhandel einzuschränken. Das liegt auch daran, dass einer der wichtigsten Kunden Irans ihr Verbündeter China ist.
Insgesamt haben die USA seit Trumps Amtsantritt aber viel an Glaubwürdigkeit verloren. Der Dollar ist deswegen schon signifikant geschwächt.
Und welche langfristigen Folgen erwarten Sie? Wird der Dollar wieder zum sicheren Hafen, weil die USA doch den Weltpolizisten spielen?
Ich denke, die gezielte Bombardierung der Atomanlagen hat die Märkte eher beeindruckt und sie davon überzeugt, dass die USA weiterhin die führende Nation sind. Sollten sich die USA aber in einen langwierigen Konflikt mit Soldaten im Iran verwickeln, dürfte das eher negativ interpretiert werden. Insgesamt haben die USA seit Trumps Amtsantritt aber viel an Glaubwürdigkeit verloren. Der Dollar ist deswegen schon signifikant geschwächt.
Welche Auswirkungen hat das alles für Europa? Die Gemeinschaft scheint ein Papiertiger zu sein, weil Verhandlungen nichts gebracht haben.
Leider hat Europa in der Tat sehr viel geopolitisches Gewicht verloren. Im globalen Süden hat unsere Glaubwürdigkeit sehr gelitten, weil wir Israel für die massive Bombardierung Gazas und die hohen zivilen Opfer dort nicht klar kritisiert haben. Klar ist aber auch, dass letztlich auch der globale Süden selbst, vielleicht mit der Ausnahme Südafrikas, dazu nichts weiter unternommen hat. Unsere eigentliche Schwäche liegt aber im militärischen Bereich.
Europa wird nur dann ernst genommen, wenn es für seine eigene Sicherheit allein sorgen kann.
Spricht das eher für noch stärkere militärische Anstrengungen, um ernst genommen zu werden – auch für die Friedensbemühungen?
In der Tat wird Europa nur dann ernst genommen, wenn es für seine eigene Sicherheit allein sorgen kann. Unser Kontinent muss daher auch ohne die USA in der Lage sein, Putin die Stirn zu bieten. Die Abhängigkeit von den USA im militärischen Bereich bedeutet zudem, dass wir auch im Handelsbereich letztlich nur sehr begrenzt eigenständig agieren können.
In einer Studie mit dem IfW Kiel haben Sie dargelegt, wo es in Europa hakt, um glaubwürdig abschrecken zu können. Was muss diesbezüglich passieren?
Die NATO und auch die deutsche Politik denkt, dass Putin schon bis 2030 ein EU-Land angreifen kann. Wir zeigen in der Studie, dass es derzeit noch an allem fehlt. Zwar gehen die Beschaffungszahlen hoch, aber die Materialbestände sind noch sehr niedrig. Die Bundeswehr findet es sogar schwer, nur eine Panzerbrigade für Litauen auszustatten. Wir zeigen, dass Produktionszahlen für einige etablierte Waffensysteme substantiell gestiegen sind. Es fehlt aber an Produktion und noch immer an der Beschaffung moderner Systeme.
Insgesamt fehlt es an politischer Ernsthaftigkeit, unsere Sicherheitsprobleme wirklich in den nächsten paar Jahren zu lösen.
Was bedeutet das politisch?
Europa muss in strategische Kapazitäten, die aktuell nur die USA für Europa bereitstellen, mehr gemeinsam investieren. Satelliten, KI und Cloud-Computing sind zentral für die Sicherheit. Dass die Bundeswehr noch nicht in großem Stil Soldaten für einen modernen Drohnen-basierten Krieg trainiert, ist mir unbegreiflich. Insgesamt fehlt es an politischer Ernsthaftigkeit, unsere Sicherheitsprobleme wirklich in den nächsten paar Jahren zu lösen.
Das Interview führte Stephan Lorz.
Das Interview führte Stephan Lorz.