„Europa muss mit Zöllen gegenhalten“
„Europa muss mit Zöllen gegenhalten“
KfW-Chefvolkswirt Schumacher fordert härtere Gangart der EU gegenüber China
ba/mpi Frankfurt
Angesichts des eskalierenden Handelskrieges mit den USA verliert Europa nach Einschätzung von KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher die Herausforderungen durch die chinesische Industriepolitik derzeit zu sehr aus den Augen. Der hohe Wettbewerbsdruck, der durch niedrige Produktionskosten, die Skalierung im großen Heimatmarkt und die Subventionen der chinesischen Regierung auf europäische Unternehmen entstehe, werde unterschätzt, sagt er in seinem ersten Interview als KfW-Chefvolkswirt.
„Solange die Regierung in Peking ihren Ansatz der Industriepolitik nicht ändert, der auf Überschüsse und Abhängigkeiten abzielt, muss Europa mit Zöllen in irgendeiner Form oder anderen Schutzräumen gegenhalten.“ Das heiße aber nicht, dass jetzt generell Zölle auf alles erhoben werden sollen, so wie es US-Präsident Donald Trump propagiert. Damit schade er der US-Wirtschaft selbst, erklärt Schumacher. Die EU müsste sich bei China-Zöllen auf den Teil konzentrieren, „wo wir eine hohe Wertschöpfung haben“. Seit Oktober etwa erhebt die EU bereits Zölle auf E-Autos aus China.
Als Bereiche mit hoher Wertschöpfung in Deutschland stuft Schumacher den Maschinenbau, die Spezialchemie, Optik sowie Pharmazie ein. Hier gebe es teilweise noch einen „echten komparativen Vorteil“ gegenüber China, den es mit europäischer Industriepolitik zu schützen gelte. Zudem stellt der Chefvolkswirt heraus, dass die Windenergie die nächste Branche sei, die umfalle, wenn Europa seine China-Politik nicht ändere. „Die europäische Industrie braucht für gewisse Zeit einen Schutzraum.“
China müsse Know-how teilen
Ein anderer Hebel, um die europäische Wirtschaft zu schützen, sind für Schumacher Joint Ventures: Wenn China in Europa in wichtige Industrien investieren will, dann sollte der chinesische Partner sein Know-how mit europäischen Firmen teilen. Allerdings, so mahnt der Chefvolkswirt, sollte dieses Mittel eines beschränkten Marktzugangs nur wohlüberlegt eingesetzt werden. Es sei aber nicht so, dass Europa als Standort nichts zu bieten hätte, betont er. Die Zusammenarbeit in Europa sollte aber forciert werden – bei Rüstungsprojekten, aber auch der Binnenmarkt und die Kapitalmarktunion müssten vorankommen. Denn: „Mehr Venture Capital für innovative Unternehmen ist ein Baustein für eine höhere Produktivität“. Auch sollten die Arbeitsmärkte flexibler gestaltet werden.
Mehr Souveränität braucht Europa laut Schumacher im Militärbereich und bei digitalen Dienstleistungen. Die bisherige Abhängigkeit sei gerade im Hinblick auf die Entwicklungen in den USA ein Problem. Diese Abhängigkeiten abzubauen brauche viel Zeit, „ist jedoch machbar“.
Lob für die Bundesregierung
Die ersten Schritte der Bundesregierung mit dem Zweiklang aus größerem fiskalischen Spielraum und begleitenden Strukturreformen hält Schumacher für richtig. „Jetzt kommt es auf das Feintuning an.“ Etwa bei der Fachkräfteeinwanderungsstrategie. Qualifikationen müssten nicht staatlich geprüft werden, wenn der Betrieb glaube, jemand sei gut genug für einen Job. „Wenn es für ein Unternehmen okay ist, jemanden einzustellen, der nur Englisch spricht, sollte das für die Politik ausreichend sein.“ Zudem ließen sich viele Probleme in Deutschland lösen, wenn es für die Menschen einfacher wäre, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Es sei ein riesiges Problem, dass die Infrastruktur so schlecht ist, dass viele nicht in Vollzeit arbeiten können, auch wenn sie das eigentlich wollen.
Schumacher ist insgesamt aber zuversichtlich, dass Deutschland nachhaltig auf den Wachstumspfad zurückkehrt – „wenn die Regierung jetzt die nötigen Reformen umsetzt“.
Im Interview Seite 6