„Europa muss seine Souveränität gegen die USA verteidigen“
„Europa muss seine Souveränität gegen die USA verteidigen“
Im Gespräch: Joseph E. Stiglitz
„Europa muss seine Souveränität verteidigen“
Nobelpreisträger warnt vor zu großer Abhängigkeit von den USA – Kritik an der Macht der Tech-Konzerne – Digitaler Euro bessere Idee als Stablecoin
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz redet den Europäern ins Gewissen: Sie müssen sich Abnabeln von den USA, denn die Zeiten der vertrauenswürdigen Freundschaft sind vorbei – wohl auch für die Zeit nach Präsident Trump. Digitale Souveränität ist die entscheidende Wegmarke.
Die Welt ist mit US-Präsident Donald Trump eine grundlegend andere geworden, warnt US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz. Nur wollten das die Menschen und Repräsentanten vieler Länder noch nicht wirklich wahrhaben. Er ruft Europa deshalb auf, endlich die Konsequenzen daraus zu ziehen: Europäische Souveränität sichern, sich unabhängig machen von amerikanischer digitaler Dominanz, Stärkung der eigenen Institutionen auch zur Abwehr amerikanischer Übergriffigkeit und neue Allianzen beim Handel sowie der Absicherung der Lieferketten.
„Die Kluft zwischen den USA und Europa ist permanent“, warnt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung und erwartet nicht, dass das „Phänomen Trump“ bald wieder verschwindet: „Die Welt, in der man sicher sein konnte, dass Grenzen keine Rolle spielen und die USA ein vertrauenswürdiger Teil der westlichen Familie seien, gibt es nicht mehr“. Inzwischen seien Grenzen wieder ein Fakt und mit den USA „sollte man vorsichtig sein“. Stiglitz: Trump wurde zweimal gewählt und bei der nächsten Wahl könnte sogar noch jemand schlimmeres das Präsidentenamt bekommen“.
Stiglitz kam anlässlich einer Preisverleihung im Rahmen der Buchmesse nach Frankfurt. In der Deutschen Nationalbibliothek erhielt er am Wochenende die Carl Friedrich v. Weizsäcker Medaille. Am Vorabend war er bei der KfW-Stiftung zu Gast. Mit der Medaille würdigen die Weizsäcker-Gesellschaften Deutschland, Österreich und der Schweiz seine Verdienste um eine Ökonomie, die gerade auch menschliche Beziehungen und Werte berücksichtigt. Die Auszeichnung wurde gestiftet anlässlich des 100. Geburtstags von Carl Friedrich von Weizsäcker am 30. Juni 2012.
Weizsäcker-Medaille verliehen

Der Nobelpreisträger hält die Abnabelung Europas von den USA in vielen kritischen Bereichen für nötig, und machbar. Immerhin habe sich etwa Deutschland auch zügig vom russischen Gas trennen können. Nun gehe es darum, sich etwa von US-Cloud-Anbietern und US-Software zu trennen. Schließlich setzten die USA auf der anderen Seite ja ebenfalls alles in Bewegung, damit US-Unternehmen ihre Daten nicht in China lagerten.
Netzwerkeffekte leicht auszuhebeln
Dass die US-Tech-Konzerne so mächtig sind und viele Sektoren in der digitalen Sphäre dominieren, ist nach Ansicht von Stiglitz auch eine Folge ihrer kriminellen Energie: Sie würden Daten stehlen, ohne dafür zu bezahlen, umgingen die Steuerbehörden, um für ihre gigantischen Profite nicht angemessen herangezogen werden zu können, und machten Geld, indem sie die Instinkte der Menschen ausnutzten, indem sie polarisierten und aufhetzten. Europa müsse zeigen, „dass es souverän agieren und seine Werte verteidigen kann“, fordert der Nobelpreisträger.
Stiglitz macht sich keine Sorgen, dass digitale Netzwerkeffekte den Aufbau einer eigenen europäischen Infrastruktur aus digitalen Clouds und Social Networks erschweren. Netzwerkeffekte sind ein Schlüsselfaktor in der digitalen Ökonomie: Produkte werden attraktiver, je mehr Nutzer es etwa für den Austausch von Informationen gebrauchen. Das erschwert Konkurrenten den Einstieg und führt schleichend zu Oligopolen oder gar Monopolen auf dem Markt. Im Binnenmarkt sei alles für den Aufbau von Konkurrenzangeboten vorhanden, sagt Stiglitz: Ingenieure, Wissen, Werkzeuge, Produktionskapazitäten. Und würden etwa bei einem europäischen Social Network alle heimischen Unternehmen und Behörden vom Staat verpflichtet, darüber zu kommunizieren, seien „die Netzwerkeffekte quasi über Nacht zu lösen“.
Stiglitz sieht die US-Wirtschaft gleichwohl selbst in großer Gefahr, über die Jahre an Dynamik, Einfluss und Macht zu verlieren. Schon jetzt sei die wirtschaftliche Lage nicht so gut, wie sie in den Daten erscheine. Denn zum einen würde die KI-Blase und die dazugehörigen Investitionen die Schwäche in anderen Sektoren überspielen. Zum anderen sei die Zuwanderung schwach und Emigranten müssten eher das Land verlassen, was die Arbeitslosigkeit optisch stabil halte. Zudem würden die neuen Zölle die Inflation massiv steigen lassen, aber erst später sichtbar werden als von Ökonomen vorhergesagt.
US-Wirtschaft wackelt
Langfristig sieht er die größten Probleme für die USA aber im Kampf der Trump-Administration gegen die Wissenschaftsfreiheit und gegen ausländische Forscher im Land. Stiglitz: „Wir verzichten auf die intelligentesten Menschen aus jedem Land“. Die USA seien „nicht mehr der Melting Pot der Welt, sondern Trump hat einen Brain-Drain installiert, der die größten Talente abwandern lässt“.
Weitere Nackenschläge für die US-Wirtschaft aus Sicht von Stiglitz: Trumps Unberechenbarkeit, seine Missachtung des Rechtsstaats, sein Zoll-Protektionismus, und sein Versuch, über eine Digital-Dominanz der Tech-Konzerne die Rolle der USA weltweit abzusichern.
Stablecoins „verrückte Idee“
Eine besondere Rolle in Trumps Universum spielen Ökonomen zufolge auch US-Stablecoins. Das digitale Geld, das durch Absicherung mit US-Anleihen virtuell handelbar ist, halten sie zum einen zwar für eine moderne Finanzierungsform, das Marktakteuren neue Möglichkeiten erschließt, zugleich aber auch für ein Einfallstor für den Staat, um fiskalische Grenzen zu verschieben. Stiglitz sieht darin zudem eine Form von Betrug an die Käufer, spricht von einer „verrückten Idee“, mit der das Unverständnis der Menschen in dieses Instrument ausgenutzt werde: Die Emittenten von Stablecoins würden Treasury-Bonds erwerben und dem Käufer nur garantieren, dass er den Wert zurückerhält, während der Emittent die Zinsen einstreiche. Warum nicht gleich US-Bonds kaufen und die Zinsen selbst einstreichen? Und was, wenn die „Wertgarantie“ nicht mehr haltbar ist im Falle eines Crashs?
Digitaler Euro besserer Weg
Der digitale Euro der EZB ist für ihn der bessere Weg: „Ich bin der Meinung, dass der Privatsektor kein digitales Geld emittieren sollte“. Obendrein sei die US-Regulierung löchrig. Und was tun, wenn „der Stablecoin einmal instabil wird?“
Wegen der Attacken Trumps auf die Notenbank geht er auch davon aus, dass der Dollar weiter an Wert verliert. Der Euro ist aus seiner Sicht zwar noch keine richtige Alternative für die US-Währung, werde aber an Bedeutung gewinnen. Zwischenzeitlich parkten die Anleger ihr Geld eben etwa in Gold.