Europas offene Kapitalmarktflanke
Europas offene Kapitalmarktflanke
Ökonomen mahnen auf S&P-Konferenz Vertiefung des EU-Binnenmarkts an
lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Die Erweiterung und Vertiefung einer Kapitalmarktunion ist nach Ansicht vieler Akteure im Finanzsektor die entscheidende Stellschraube, damit Europa souverän genug bleibt, um seine Interessen geopolitisch zu verteidigen. Obendrein würde ein erleichterter Zugang zu Kapital und Investitionen das Wachstum stärken, mehr Finanzierungsquellen die Wettbewerbsfähigkeit verbessern sowie Innovationen erleichtern und es würden die Finanzierungskosten sinken, was die Modernisierung der Wirtschaft beschleunigt.
Vom Sparen zum Investieren
Auf einer S&P-Konferenz in Frankfurt kritisierten eine Reihe von Referenten die zu schwache Wettbewerbsposition europäischer Banken gegenüber ihren amerikanischen Konkurrenten. Das liegt ihrer Ansicht nach zum einen an der weniger restriktiven und künftig noch weiter aufgeweichten Regulierung in den USA. Zum anderen aber auch am unterdimensionierten und national zersplitterten Kapitalmarkt in Europa. In einem weitgehend harmonisierten und erweiterten Finanzumfeld wären die heimischen Banken leichter in der Lage, die wirtschaftlichen Aktivitäten zu beschleunigen.
Der scheidende Finanzvorstand der Deutschen Bank, James von Moltke, sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Abschwächung der Kapitalmarktvorschriften aus und hält den Vorschlag Brüssels, eine stärkere Verbriefung von Krediten zu fördern, als „wahrscheinlich nicht weit genug gehend, um die Bilanzen der Banken wirklich zu entlasten“. Grundsätzlich forderte er in seiner Keynote, dass es in Europa mehr darum gehen müsse, mehr Geld vom Sparen ins Investment zu bringen. Eigentlich sei die Sparquote auf dem Kontinent höher als in den USA, doch gingen hierzulande zu viele Finanzmittel auf die Konten und würden für herkömmliche Kredite genutzt, und zu wenig flösse in den Investmentbereich, um etwa für das Wachstum von Startups hergenommen werden zu können.
Private Altersvorsorge
Ein wichtiger Baustein ist für ihn dabei die Etablierung einer ergänzenden kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge in Deutschland neben der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese sei „kein Mysterium“, über das man stets neu debattieren müsse. Die Mechanismen seien bekannt und in vielen Ländern mit großem Erfolg erprobt. Eine kapitalgedeckte private Altersvorsorge würde nicht nur das Rentensystem stärken, sondern auch die Innovations- und Wachstumskraft der europäischen Wirtschaft verbessern, weil dem Kapitalmarkt mehr Mittel zuflössen.
Auch der Staat würde davon profitieren, zeigt sich von Moltke mit Verweis auf die Infrastrukturinvestitionen der Bundesrepublik überzeugt. Über den Kapitalmarkt könnten ergänzend private Investitionen besser organisiert werden, was den Wachstumsimpuls noch verstärken würde. Moltke: „Ich kann es nicht genug unterstreichen: Der Erfolg von Europa entscheidet sich auch an der Verwirklichung der europäischen Kapitalmarktunion.“
Strukturwandel befördern
Auch der Europa-Chefvolkswirt von S&P, Sylvain Broyer, hält eine Stärkung, Vertiefung und Erweiterung der Kapitalmarktunion für eine Voraussetzung, damit Europa wieder produktiver wird, den Wandel hin zu einer moderneren Wirtschaftsstruktur schaffen und zu den USA aufschließen kann.
Fed-Unabhängigkeit gefährdet
Doch in vielen anderen Aspekten sind die USA aus seiner Sicht eher kein Vorbild für Europa. Broyer führt hier zuvorderst die Kritik von US-Präsident Donald Trump an der US-Notenbank Fed an und warnt vor den kurz- aber auch langfristigen Folgen. Sorge bereiten ihm dabei vor allem die zu erwartende höhere Inflation, wenn die Notenbank zu Zinssenkungen gezwungen werde, die unter autonomer Einschätzung nicht erfolgen dürfte.
Broyer sieht auch die Gefahr, dass die Notenbank unter Regierungseinfluss genötigt werden könnte, den Dollar als „geopolitische Waffe“ einzusetzen. Und dass Trump die Notenbank von der Emission von Stablecoins ausschließt, hält er deshalb für dramatisch, weil diese zur „Direktfinanzierung des Fiskus“ hergenommen werden könnten. Entsprechend zwingend sei auch, dass die Europäer hier ein Gegenmodell anbieten – mit eigenen Stablecoins, aber auch der Etablierung des digitalen Euro.