Pascal Lamy

Ex-WTO-Chef sorgt sich um China

Der frühere Generalsekretär der Welthandelsorganisation Pascal Lamy rechnet mit wirtschaftlichen Folgeschäden der Tech-Kampagne im Reich der Mitte.

Ex-WTO-Chef sorgt sich um China

nh Schanghai

Die in China grassierende Kampagne zur Regulierung von Internet- und Technologiefirmen stimmt den früheren Chef der Welthandelsorganisation WTO und ausgemachten China-Kenner Pascal Lamy bedenklich. In einem jetzt veröffentlichten Interview bezeichnete Lamy die chinesische Kontrolloffensive im Tech-Sektor als einen „weiteren Motor für eine fortschreitende Entkoppelung der Globalwirtschaft“, was wiederum negative Konsequenzen für Chinas künftiges Wirtschaftswachstum zeitigen könne.

Lamy, der vor seiner Zeit als WTO-Chef als Handelskommissar der Europäischen Union Europas Agenda zur fortschreitenden Handels- und Investitionsverflechtung mit China vorantrieb, gilt als ein entschiedener Globalisierungsbefürworter und damit auch Kritiker der in der Regierungszeit von Donald Trump aufgekommenen und popularisierten „Entkoppelungsbestrebungen“ der USA. Dahinter steckt die Idee, die US-Wirtschaft handels- und industriepolitisch weniger abhängig von der aufstrebenden Wirtschaftsnation China und ihrer Exportmaschinerie zu machen und gleichzeitig Chinas technologische Aufrüstung abzubremsen. So hat Washington eine ganze Reihe von chinesischen Technologiekonzernen, allen voran den Telekomausrüster Huawei, mit scharfen Restriktionen beim Bezug von US-Technologie belegt.

Lamy befürchtet, dass die chinesische Antwort auf US-Restriktionen, beziehungsweise der gegenwärtig zu beobachtende politische Trend zu einer Totalkontrolle über die heimische Digitalwirtschaft, die Fronten weiter verhärtet und so auch Chinas Technologieexporte und digitalen Dienste in ihrer Entwicklung bremst. Damit werde ein entscheidender Wachstumsfaktor für die Zukunft kompromittiert. Dies wiederum erhöhe die Gefahr, dass Chinas Wirtschaft in der sogenannten Schwellenländer-Falle, der „middle income trap“, stecken bleibe. Unter diesem Fachbegriff verstehen Ökonomen ein Phänomen, das immer wieder aufstrebende Volkswirtschaften mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten ereilt hat: Danach verlieren die Länder im Zuge steigender Löhne an wirtschaftlicher Dynamik und internationaler Wettbewerbsfähigkeit, sobald sie einen gewissen Wohlstand erreicht haben.

Lamy betont, dass Chinas wachsende Autarkiebestrebungen in Antwort auf die US-Politik die Entkoppelungstendenz wesentlich verstärken und damit langfristig Chinas Exportsektor beeinträchtigen. Dabei glaube er aber nicht, dass es China gelingen werde, den „Außenhandelsmotor“ durch einen „Binnenkonsummotor“ gleichwertig zu ersetzen – insbesondere dann, wenn die Entkoppelungstendenz auch auf Chinas Wirtschaftsbeziehungen zu Europa abfärbe.