Debatte über EZB-Kurs

EZB-Ratsmitglied Wunsch erteilt Zinssenkungshoffnungen kräftigen Dämpfer

An den Märkten wird munter auf rasche und deutliche EZB-Zinssenkungen im Jahr 2024 spekuliert. EZB-Ratsmitglied Pierre Wunsch stemmt sich nun dagegen – und wähnt sich damit keineswegs allein im EZB-Rat.

EZB-Ratsmitglied Wunsch erteilt Zinssenkungshoffnungen kräftigen Dämpfer

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Pierre Wunsch ihre Leitzinsen, wenn überhaupt, eher später als früher senken. „Ich denke, es besteht inzwischen eine Art Konsens darüber, dass wir lieber zu vorsichtig mit Zinssenkungen sein sollten als zu forsch“, sagte Wunsch im Interview der Börsen-Zeitung. Marktspekulationen auf rasche und deutliche Zinssenkungen im Jahr 2024 nannte er „sehr optimistisch“ und warnte: „Es erhöht sogar die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Zinsen weiter anheben müssen. Wenn man sich die Zinskurve anschaut, mindern solche Spekulationen den restriktiven Grad unserer Geldpolitik.“

„Mein Basisszenario ist, dass wir die Zinsen nicht weiter anheben, sondern dass wir die 4,0% beim Einlagenzins länger beibehalten. Aber ich würde definitiv nicht ausschließen, dass wir doch noch mehr tun müssen“, sagte Wunsch. Es gebe „nach wie vor Aufwärtsrisiken für die Inflation gegen Ende unseres Prognosehorizonts im Jahr 2025“. Vor allem das aktuelle Lohnwachstum stehe nicht in Einklang mit einer Rückkehr der Inflation zum 2-Prozent-Ziel. „Es geht also in die richtige Richtung, aber es ist noch viel zu früh für Entwarnung“, so Wunsch.

Selbst für den Fall, dass die Euro-Wirtschaft in eine Rezession rutscht, macht Wunsch wenig Hoffnung. „Wenn die Lohnentwicklungen auf einem Niveau bleibt, das nicht mit den 2,0% vereinbar ist, können wir auch bei einer Rezession leider nichts tun. Bei einem Lohnwachstum von rund 5% werden wir die Zinsen nicht senken – selbst wenn die Wirtschaft leicht schrumpft.“

Wunsch untermauerte zudem seine Forderung nach einem schnelleren Abbau der EZB-Bilanz und einem früheren Ende der Reinvestitionen im Zuge des Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP. Bislang sollen die bis mindestens Ende 2024 fortgesetzt werden „Wenn ich auf unser primäres Mandat schaue, die Inflation auf 2,0% zu bringen, sehe ich absolut keinen Grund, die Reinvestitionen bei PEPP fortzusetzen – abgesehen von der Tatsache, dass wir das versprochen haben. Aber das allein ist kein gutes Argument“, sagte Wunsch.

Wunsch hält auch wenig von dem Argument, dass die PEPP-Reinvestitionen die erste Verteidigungslinie seien, falls es zu Problemen bei der geldpolitischen Transmission kommt – also konkret, wenn die Anleiherenditen einiger Euro-Länder übermäßig steigen. „Wenn wir aufgrund dieses Arguments weiterhin reinvestieren und PEPP einsetzen, bedeutet das, dass wir nicht nur mit der fiskalischen Dominanz flirten. Wir sind dann in der fiskalischen Dominanz.“

Skeptisch sieht Wunsch die Debatte über eine Anhebung des Mindestreservesatzes von aktuell 1%. „Ich sehe keine starken Argumente für einen höheren Mindestreservesatz. Wir können unsere Bilanz deutlich reduzieren, um die Überschussliquidität zu reduzieren“, sagte er und fügte hinzu. „Und wir sollten ehrlich sein: Wenn wir die Mindestreserve erhöhen, die derzeit nicht verzinst wird, ist das wie eine Steuer für die Banken. Das können wir machen. Aber sollten wir auch?“ Wunsch warnt zudem: „Die Gefahr ist auch, dass das einen künftigen Einsatz von Anleihekäufen, also Quantitative Easing (QE), ineffektiver macht, wenn die Marktteilnehmer mit so etwas rechnen.“

Mehr zum Thema:

Das Interview im Volltext