Geldpolitik

EZB sieht Inflationsziel auf Jahre außer Reichweite

Reihenweise heben Beobachter in Reaktion auf die neuesten EZB-Vorhersagen ihre Zinsprognose an. Mit ihren Erwartungen für Wachstum und Inflation ruft die Notenbank einmal mehr Skepsis hervor.

EZB sieht Inflationsziel auf Jahre außer Reichweite

rec/ms Frankfurt

Die Europäische Zentralbank (EZB) rechnet damit, ihr Inflationsziel auf lange Sicht zu verfehlen. Zum ersten Mal hat sie eine Inflationsvorhersage für 2025 veröffentlicht – und erwartet, dass die Inflation mit durchschnittlich 2,3% auch dann noch jenseits ihres 2-Prozent-Ziels liegen wird. Zudem hat sie ihre bisherigen Inflationsprognosen einmal mehr „erheblich“ nach oben korrigiert. Reihenweise heben Beobachter deshalb umgehend ihre eigenen Leitzinsprognosen an.

Die Inflationsvorhersage für 2025 war mit besonderer Spannung erwartet worden. Hintergrund ist, dass das EZB-Inflationsziel von 2% „mittelfristig“ gilt und die Geldpolitik mit zeitlicher Verzögerung wirkt. Vor der Sitzung war verbreitet erwartet worden, dass die EZB-Volkswirte auch für 2025 ein Überschießen des Inflationsziels vorhersagen würden. Die 2,3% übertrafen dennoch die Erwartungen vieler Experten.

Wenngleich die Euro-Notenbanker immer betonen, dass die Projektionen Vorhersagen der EZB-Volkswirte sind und nicht ihre eigenen, kommt denen stets eine besondere Bedeutung zu. Sie sind zentral für die geldpolitischen Entscheidungen. Im Gegensatz zur US-Notenbank Fed mit dessen sogenannten Dot Plots veröffentlichen die EZB-Ratsmitglieder keine eigenen Prognosen für Wachstum oder Inflation. Zuletzt ist die Kritik an den Projektionen indes gewachsen, weil diese das Inflationsproblem im Euroraum lange Zeit stark unterschätzt haben.

Auch diesmal ist umgehend gewisse Skepsis zu vernehmen. ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hält die Prognosen zu Wachstum und Inflation für zu hoch gegriffen. Insbesondere die Wachstumsprognose für das zweite Halbjahr 2023 hält er für „zu optimistisch“. Seine Schlussfolgerung: „Eine schwächere wirtschaftliche Erholung im Jahr 2023 in Verbindung mit den Auswirkungen der bisherigen Zinserhöhungen könnte die Inflation früher als von der EZB erwartet auf 2% zurückführen.“ Wie Brzeski hat Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer seine Leitzinsprognose sogleich erhöht. Maßgeblich ist für ihn die Inflationsprognose für 2025 von 2,3%: Die EZB „glaubt also nicht, dass sie die Inflation mit den vom Markt unterstellten Zinsanhebungen auf knapp 3% mittelfristig wieder unter Kontrolle bekommt“.

Nach Aussage von EZB-Chefin Christine Lagarde erwarten die Ökonomen der Notenbank eine „kurze und milde Rezession“ im Euroraum. Im Gesamtjahr 2023 ist demnach mit 0,5% Wachstum in der Eurozone zu rechnen. 2024 und 2025 dürfte das Wachstum nach Ansicht der EZB-Volkswirte merklich anziehen (siehe Grafik). Als Hauptgründe führte Lagarde an, dass sich Engpässe in den Lieferketten auflösten und der Arbeitsmarkt stark sei. Die EZB rechnet 2023 zwar mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosenquote, aber nicht über 7% im Jahresschnitt.

Die starke Lage am Arbeitsmarkt ist auch ein wesentlicher Grund für die abermaligen Aufwärtsrevisionen in Sachen Inflation. Die EZB-Volkswirte rechnen Lagarde zufolge damit, dass das Lohnwachstum deutlich zulegen wird. Das werde auf die Verbraucherpreise durchschlagen. Die EZB hat offenbar größere Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale als so mancher Beobachter: Dass sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln, gilt derzeit unter Ökonomen überwiegend als eher unwahrscheinliches Szenario.

Überhaupt wird Lagarde mit Blick auf die Inflation deutlich: Der unterliegende Preisdruck sei hoch. Falls die Inflationsrate zwischenzeitlich fällt, wie zu erwarten ist, sei das kein Grund zur Beruhigung. Die EZB wolle eine Trendwende sehen. Die Inflationsprognosen für 2023 und 2024 fallen mit 6,3% (zuvor 5,5%) und 3,4% (2,3%) denn auch deutlich höher aus als bislang.

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