Geldpolitik

EZB-Zinsdebatte wird kontroverser

Zum ersten Mal spricht sich ein EZB-Ratsmitglied öffentlich für eine Zinssenkung im März aus. Gleichzeitig betonen andere Notenbanker die Gefahren einer frühen Lockerung. Die Zinsdebatte der EZB gewinnt an Fahrt.

EZB-Zinsdebatte wird kontroverser

EZB-Zinsdebatte wird kontroverser

Erstes Ratsmitglied für Zinssenkung im März – Uneinigkeit über Inflationsentwicklung

Lange haben die Ratsmitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) quasi unisono versucht, die Markterwartungen an eine Zinssenkung im Frühjahr zu zerstreuen. Inzwischen zerbröckelt diese Einigkeit mehr und mehr. Nun meldet sich der maltesische Notenbankchef Edward Scicluna zu Wort und bringt als erstes Ratsmitglied offensiv eine Zinssenkung bereits im März ins Spiel.

Gegenwind für Lagarde

Scicluna forderte seine Kollegen auf, bei der Beurteilung der jüngsten Preistrends objektiv zu sein und den „Würgegriff“ für die Wirtschaft zumindest ein wenig zu lockern. Bereits in wenigen Wochen könnte für ihn der Zeitpunkt für eine erste Zinssenkung gekommen sein. „Soweit ich weiß, könnte es der März sein“, sagte Scicluna, der sich nur selten öffentlich äußert. „Wir werden sehen, wie viele denken, dass es keinen Grund gibt, bis Juni zu warten.“ Er spielt damit darauf an, dass einige Ratsmitglieder erst die Lohndaten für das erste Quartal abwarten wollen, ehe sie Zinssenkungen ins Auge fassen.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte am Donnerstag vor dem Europäischen Parlament gemahnt, dass die Notenbank vermeiden müsse, die Zinsen zu früh zu senken. Ebenso wie Bundesbankpräsident Joachim Nagel betont sie die hohen ökonomischen Kosten dieses Szenarios.

Unterschiedliche Meinungen

Gegenwind bekam Lagarde am Freitag nicht nur durch die Wortmeldung des maltesischen Notenbankchefs. Auch der französische Notenbankgouverneur François Villeroy de Galhau sprach sich in einem Interview mit der belgischen Zeitung "L’Echo" für eine eher frühe Zinssenkung aus, ohne aber einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. „Es ist keine Frage der Eile, aber schrittweises und pragmatisches Handeln kann besser sein, als zu spät zu entscheiden und dann übermäßige Anpassungen vornehmen zu müssen“, sagte er.

Die Inflation in der Eurozone war 2023 stärker zurückgegangen, als Ökonomen erwartet hatten. Mit 2,8% im Januar nähert sie sich allmählich dem 2-Prozent-Ziel der EZB. Da zudem die Euro-Konjunktur schwach läuft, befürworten die Tauben im EZB-Rat, also die Verfechter einer eher lockeren Geldpolitik, baldige Zinssenkungen. Die Vertreter einer restriktiveren Geldpolitik, die Falken, wollen hingegen die Lohnentwicklung im ersten Quartal und deren Auswirkungen auf die Inflation abwarten, um Gewissheit zu haben, dass die Teuerung auch bei Zinssenkungen mittelfristig auf den Zielwert fällt.

Hohes Lohnwachstum erwartet

Aktuell stehen in der Eurozone für viele Arbeitnehmer Tarifverhandlungen an. Ein neues Prognoseinstrument der EZB signalisiert derzeit ein Lohnwachstum von 4,5% für 2024. Das ist mehr, als die Notenbank grundsätzlich für verträglich hält, um mittelfristig das Inflationsziel zu erreichen. Dafür dürften die Löhne laut der EZB nur um rund 3% steigen. Demnach müsste das hohe Lohnwachstum durch geringere Preissteigerungen in anderen Bereichen kompensiert werden, damit die Inflation bis spätestens 2025 auf 2% zurückgeht.

Debatte unter Ökonomen

Nicht nur die Notenbanker, auch die Ökonomen sind sich uneins, wie die richtige Geldpolitik aussieht. Eine Mehrheit favorisiert derzeit eine Zinssenkung im Sommer. Doch es gibt Gegenstimmen. „Der Rückgang der Teuerung zum Jahresanfang wäre noch stärker ausgefallen, wenn der Staat nicht preistreibend gewirkt hätte“, teilt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung zur Inflation in Deutschland mit, die die Teuerung der Eurozone maßgeblich beeinflusst. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Stagnation im Euroraum und einer sich abzeichnenden Rezession in Deutschland sollte die EZB „auf die geänderte Datenlage reagieren und zumindest den Restriktionsgrad der Geldpolitik verringern“, empfiehlt das IMK.

Die Ökonomen der Commerzbank warnen hingegen davor, die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung überzubewerten. Der im Inland generierte Preisdruck in Deutschland habe sich bis zuletzt nicht verringert. „So lag die Vorjahresrate des Deflators des Bruttoinlandsprodukts im gesamten Jahr 2023 weitgehend stabil über 6%“, schreibt Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen in einer Analyse. „Von einer durch die straffere Geldpolitik verursachten Zähmung des inländischen Preisauftriebs – und nur diesen kann die EZB beeinflussen – kann also zumindest bis zum Jahresende 2023 keine Rede sein.“

Zum ersten Mal spricht sich ein Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) öffentlich für eine Zinssenkung im März aus. Gleichzeitig betonen andere Notenbanker die ökonomischen Gefahren einer zu frühen Lockerung. Auch unter Ökonomen herrscht Uneinigkeit. Die Zinsdebatte der EZB gewinnt an Fahrt.

mpi Frankfurt
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