NOTIERT IN BRÜSSEL

Fasten auf Flämisch

Wer fasten möchte, ist üblicherweise ja nicht besonders einfallsreich. Meist geht es um Fleisch, Alkohol, Nikotin, Süßigkeiten oder allenfalls mal den Fernsehkonsum. Im nordbelgischen Flandern hat in dieser Woche eine ganz andere Form der erhofften...

Fasten auf Flämisch

Wer fasten möchte, ist üblicherweise ja nicht besonders einfallsreich. Meist geht es um Fleisch, Alkohol, Nikotin, Süßigkeiten oder allenfalls mal den Fernsehkonsum. Im nordbelgischen Flandern hat in dieser Woche eine ganz andere Form der erhofften Selbstreinigung begonnen: Seit Montag haben sich mehrere tausend Menschen hier der Kampagne “30 Tage ohne Klagen” angeschlossen. Es geht darum, das Leben doch einfach mal wieder etwas positiver zu sehen und einen Monat lang aufs Rumjammern, Stöhnen, Lamentieren, Knottern, Zetern, Schimpfen, Murren oder auch aufs Sich-Beschweren zu verzichten. Ein “Glücksbarometer”, das jeder Teilnehmer regelmäßig ausfüllen soll, soll täglich messen, ob dieser große Verzicht denn auch seine Wirkung zeigt. *Die Kampagne ausgedacht haben sich zwei Frauen: Isabelle Gonnissen, eine Sales-&-Marketing-Managerin, die eigentlich in einem großen Chemiekonzern arbeitet, und die Trainigs- und Coaching-Expertin Greet Van Hecke. Beide sind Mütter von zwei Kindern und beide haben gelernt, Herausforderungen anzunehmen und mit einer positiven Grundeinstellung durchs Leben zu gehen. Auf ihrer Kampagnen-Webseite erzählen sie von ihrem Unverständnis, so viele muffelige Menschen in ihrem Land zu sehen, obwohl Belgien doch so viele persönliche und berufliche Möglichkeiten, Freiheiten und Absicherungen bietet. Heckes Motto lautet: “Am Ende wird alles gut – und wenn es nicht in Ordnung ist, dann ist es auch nicht das Ende.” *Eine Antwerpener Zeitung hat bei der Vorstellung des Projekts zwar gleich zu meckern begonnen, dass bei anderen Kampagnen – etwa weniger Fleisch zu essen – sich viel mehr Interessenten gefunden hätten als beim 30-Tage-Klageverzicht. Aber das ändert nichts daran, dass mittlerweile Schauspieler, Sportler und sogar der flämische Gesundheitsminister Jo Vandeurzen die Aktion unterstützen. Er hält es für sinnvoll, dass sich die Nörgler über ihr Jammern erst einmal bewusst werden. Und schließlich heißt es ja auch: Ärger macht krank, und fröhliche Menschen leben gesünder. Angeblich wird ja beim Meckern und Lamentieren im Körper auch das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, was der Gesundheit alles andere als zuträglich ist. Also: Weniger Herzinfarkte durch weniger Jammern? Man kann es ja mal versuchen. Auf jeden Fall unterfüttern Gonnissen und Van Hecke ihre Kampagne auch mit konkreten sportlichen Anregungen. Ihre “Sportbotschafterin” hat zum Beispiel angekündigt, am 3. und 4. Februar innerhalb von 24 Stunden einmal durch ganz Flandern zu radeln – immerhin 270 Kilometer will sie in dieser Zeit, ohne zwischendurch zu Schlafen, hinter sich bringen. *Ob sich übrigens auch Politiker der Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) an der 30-Tage-Aktion beteiligen, ist bislang nicht bekannt. Die N-VA ist die Separatisten-Partei, die die Unabhängigkeit Flanderns anstrebt und nicht selten etwas am heutigen belgischen Staat zu meckern hat. Viele Belgier würden sich wohl vor allem wünschen, wenn sich die N-VA-Reizfigur, Asyl-Staatssekretär Theo Francken, einmal stärker dem positiven Denken verschreiben würde. Francken, gegen den zuletzt am Wochenende 6 500 Menschen in Brüssel demonstriert hatten, wurde jüngst von der “New York Times” als “flämischer Trump” bezeichnet. Die “Washington Post” hatte ihn wegen seiner Hartliner-Positionen in der Flüchtlingsfrage zuvor auch schon “Antimigrationsextremisten” genannt. *Gonnissen und Van Hecke überlegen bereits, ihre Aktion regional weiter auszudehnen. Der 30-Tage-Klageverzicht läuft in Flandern jetzt auf jeden Fall bis zum 14. Februar. Dann ist Valentinstag. Was die findigen Organisatorinnen allerdings nicht so recht bedacht haben: Am 14. Februar ist in diesem Jahr auch Aschermittwoch. Und dann fängt gleich die nächste Fastenzeit an. Ob es da nicht gleich wieder etwas zu meckern gibt?