Meiste Schließungen seit 2011

Firmensterben bremst Investitionsturbo der Regierung aus

196.100 Unternehmen haben 2024 aufgegeben – neben der Konjunkturschwäche sind dafür die Dauerbrenner Unsicherheit, Bürokratie und Fachkräftemangel verantwortlich. Die Studie von ZEW und Creditreform zeigt auch die möglichen Folgen auf.

Firmensterben bremst Investitionsturbo der Regierung aus

So viele Firmen geben auf wie zuletzt 2011

ZEW und Creditreform melden starken Anstieg in allen Wirtschaftsbereichen

ba Frankfurt

Fachkräftemangel, Bürokratie, geopolitische Unsicherheiten und die starke Konkurrenz auf den Weltmärkten: 2024 haben so viele Unternehmen aufgegeben wie zuletzt in der Finanz- und
Wirtschaftskrise der Jahre 2009 bis 2011. Details der Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Auskunftei Creditreform zeigen deutlich, dass bereits viele Unternehmen hierzulande nicht mehr investieren. Aber auch, dass es beim „Investitionsturbo“ der neuen Bundesregierung mangels ausführender Firmen Probleme geben könnte.

Laut der Studie ist 2024 die Zahl der Marktaustritte bundesweit um 16% zum Vorjahr auf 196.100 gewachsen. Im Jahr 2009 wurden etwa 214.000 Unternehmen geschlossen. „Die Schließungszahlen sind in allen Wirtschaftsbereichen alarmierend“, betont Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. „Vor allem die Industriebetriebe leiden unter den hohen Energiekosten in der Produktion, während der Wettbewerbsdruck durch ausländische Anbieter steigt.“ In den energieintensiven Bereichen gab es 1.050 Betriebsschließungen, das sind 26% mehr als im Vorjahr. In der Chemie- und Pharmaindustrie gaben 360 Unternehmen auf und damit so viele wie seit mehr als 20 Jahren nicht.

Zukunftsbranche im Feuer

Überdurchschnittlich stark stiegen auch die Unternehmensschließungen im Bereich der technologieintensiven Dienstleistungen, zu denen unter anderem IT, Produktentwicklung, Umwelttechnik und Diagnostik zählen. Hier gab es ein Plus um 24% auf rund 13.800 Unternehmen − obwohl der Sektor als Zukunftsbranche wachsen müsste, wie Sandra Gottschalk vom ZEW erklärt. Doch es herrsche ein gravierender Fachkräftemangel. „Die daraus resultierenden Engpässe zwingen Unternehmen dazu, um knappe Ressourcen zu konkurrieren. Das führt dazu, dass nicht genug Aufträge angenommen werden können, um wirtschaftlich zu arbeiten“, so Gottschalk.

Die schrumpfenden Kapazitäten in der Wohnungswirtschaft sind für Hantzsch „schlechte Nachrichten für die neue Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag eigentlich einen ‘Wohnungsbau-Turbo‘ angekündigt hat“. Hier gaben 9.700 Unternehmen auf, 20% mehr als im Vorjahr.

Die flächendeckende Versorgung mit Apotheken und Arztpraxen dürfte sich angesichts der 10.800 Marktaustritte (+8%) weiter verschlechtern.

Alarmsignal bei größeren Unternehmen

Auffällig findet Hantzsch, dass gut 4.500 größere, wirtschaftlich aktive Unternehmen abgemeldet wurden – fast doppelt so viele wie in einem durchschnittlichen Jahr. „Ein klares Alarmsignal an die Wirtschaftspolitik“, so Hantzsch. „Viele Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Ausland, schließen Standorte oder investieren gar nicht mehr in Deutschland“. Die deutsche Wirtschaft verliere dadurch zunehmend an Substanz und Know-how.

Bei kleineren, überwiegend inhabergeführten Unternehmen machen die Forscher in vielen Fällen nicht die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern die demografische Entwicklung als Ursache der nur moderat angestiegenen Marktaustritte aus. Immer mehr Eigentümer der geburtenstarken Jahrgänge würden das Rentenalter erreichen, ohne geeignete Nachfolger zu finden. „Viele junge Menschen empfinden eine abhängige Beschäftigung als attraktiver und lukrativer als den Weg in die Selbstständigkeit“, erklärt ZEW-Expertin Gottschalk.

Kaum Unterschiede der Regionen

Der Blick auf die Regionen zeigt, dass sowohl Metropolen und Agglomerationsräume als auch ländliche Räume gleichermaßen von Unternehmensschließungen betroffen sind. Die Schließungsquoten unterscheiden sich im Branchendurchschnitt auch wenig nach dem Grad der Bevölkerungsdichte. Für einzelne Branchen aber identifizieren die Forscher Unterschiede: So gebe es in hoch verdichteten Räumen mehr energieintensive Industriebranchen, wo auch die Schließungsraten höher seien. „Für das verarbeitende Gewerbe insgesamt, das Baugewerbe und den Handelssektor sind ebenfalls höhere Schließungsraten in Metropolen und Agglomerationsräumen auszumachen“, wohingegen in den Dienstleistungsbranchen in allen Regionstypen etwa gleich hohe Schließungsraten registriert wurden. Vergleichsweise geringe Schließungsraten verzeichnet das ZEW in Mecklenburg-Vorpommern (im Durchschnitt 5,6%) und in Sachsen (5,8%). Im Bundesvergleich vorne stehen Bremen (6,9%), Berlin (6,8%) und Brandenburg (6,8%).

Nur bedingt vergleichbar

ZEW und Creditreform weisen auch auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) hin, die aber nur bedingt vergleichbar sind. Am nächsten kämen die Insolvenzzahlen, die die Wiesbadener Statistiker monatlich melden − 2024 ergab sich bei den Unternehmenspleiten ein Anstieg um 22%. Die Gewerbeabmeldungen kamen auf +3% zum Vorjahr. Doch hier werden sowohl selbständige Betriebe als auch Zweigniederlassungen und unselbständige Zweigstellen registriert. Und das nicht nur bei
vollständiger oder teilweiser Aufgabe eines Betriebes, sondern auch bei dessen Übergabe (Verkauf, Verpachtung, Eintritt der Erbfolge), bei Austritt eines Gesellschafters, bei Änderung der Rechtsform, bei Verlegung in einen anderen Meldebezirk oder wenn eine Aufgabe nach dem Umwandlungsgesetz vorliegt.

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