Staatsverschuldung

Fiskalpolitik in und nach der Pandemie

Die Staatsverschuldung ist während der Coronakrise stark gestiegen. Es ist sinnvoll, dass Geld- und Fiskalpolitiker nun Handlungsoptionen für verschiedene Szenarien entwickeln, um nach der Krise angemessen reagieren zu können.

Fiskalpolitik in und nach der Pandemie

In Deutschland und in vielen anderen Ländern steigt in der Coronakrise die Staatsverschuldung rasant an, weil Regierungen finanzielle Mittel bereitstellen, um Unternehmen vor der Insolvenz und Beschäftigte vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Nachdem dies zunächst auf große Zustimmung stieß, wurden in der zweiten Welle Zweifel an der „Rettungspolitik“ laut. Forderungen nach Einschränkungen der staatlichen Hilfen kamen auf, weil es angesichts der ausufernden Verschuldung unmöglich sei, „alle zu retten“. Was heißt es aber konkret, wenn der Staat in der Pandemie Unternehmen „rettet“?

Schwerer exogener Schock

Die Fiskalpolitik der Unternehmensrettung weist eine klar mikroökonomische Komponente auf. Der Staat hilft den von der Pandemie und den Gegenmaßnahmen betroffenen Unternehmen und Beschäftigten massiv. Viele dieser Maßnahmen führen unmittelbar zu höheren Staatsausgaben, wie zum Beispiel das Kurzarbeitergeld, oder zu Mindereinnahmen, wie Steuerstundungen, und damit zu einem höheren Haushaltsdefizit. Andere Maßnahmen werden nicht haushaltswirksam, zum Beispiel nicht in Anspruch genommene Kreditgarantien.

Hilfen in dem aktuell hohen Ausmaß sind in Marktwirtschaften höchst ungewöhnlich. Sie rechtfertigen sich dadurch, dass die Pandemie ein schwerer exogener, asymmetrischer Schock ist. Dies bedeutet: Viele Unternehmen und ihre Beschäftigten haben einfach Pech, in kontaktintensiven Bereichen tätig zu sein, die nicht systemrelevant sind, während andere das Glück haben, Güter und Dienstleistungen anzubieten, die durch die Krise besonders gefragt sind. Staatliche Hilfen für die erste Gruppe verhindern also, dass diese Unternehmen aus dem Markt ausscheiden müssen, obwohl sie weder falsche unternehmerische Entscheidungen getroffen haben, noch ihre Arbeitnehmer zu hohe Löhne durchgesetzt haben. Die Hilfen sind daher keine klassische Subvention im Sinne einer Unterstützung nicht marktfähiger Produkte und Arbeitsplätze, sondern eine (nachträgliche) Versicherungsleistung. Da die Hilfen bei den Begünstigten keine Anreize für riskantes Handeln in der Zukunft setzen (keine Moral-Hazard-Gefahr), sind sie – im Gegensatz zur „Bankenrettung“ 2008 – selbst unter liberalen Ökonomen wenig umstritten.

Die Rolle des Staates als Versicherer ist zudem nicht neu. In der heute weitgehend vergessenen EHEC-Krise 2011 handelte die öffentliche Hand ähnlich, um den schuldlos betroffenen Gemüsebauern unter die Arme zu greifen, die wegen des Virus ihre Tomaten, Gurken usw. nicht mehr absetzen konnten. Die erforderlichen Mittel in dreistelliger Millionenhöhe konnten ohne zusätzliche Verschuldung aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Der Covid-Schock ist aber dramatisch größer. Ohne zusätzliche Verschuldung müssten entweder andere Ausgaben erheblich gekürzt oder Steuern deutlich erhöht werden. Dadurch aber würde der negative Schock der Pandemie lediglich auf andere verteilt, was schon politisch kaum zu vermitteln wäre.

Von der Hilfe zur Subvention

Aber auch ökonomisch ist die Schuldenfinanzierung angezeigt: Indem der Staat den betroffenen Unternehmen und Beschäftigten hilft, stabilisiert er die Nachfrage nach dem Güter- und Arbeitsangebot jener, die von der Pandemie nicht unmittelbar betroffen sind. Damit wird eine tiefe Rezession mit entsprechend breiten Einkommens- und Vermögensverlusten zu verhindert. Durch die Unterstützung einiger hilft er „allen“. Der zu zahlende Preis liegt in der steigenden Staatsverschuldung. Diese stabilisierungspolitische Komponente der Hilfen ist hervorzuheben, weil zu befürchten ist, dass nach Beendigung der Pandemie die Staatshilfen doch allein aus dem Blickwinkel klassischer Subventionspolitik bewertet werden. Womöglich werden viele unterstützte Unternehmen letztendlich doch schließen müssen. Aus einer Subventionssicht werden die staatlichen Maßnahmen dann als fehlgeleitet kritisiert werden. In Vergessenheit droht darüber der positive Makroeffekt zu geraten, nämlich dass der Einbruch der Wirtschaftsleistung dank des staatlichen Eingreifens relativ begrenzt war.

Nach der Pandemie entfällt das Versicherungsargument für Hilfen zugunsten einzelner Unternehmen und Sektoren. Sie sollten daher rasch auslaufen, um die Selektionsfunktion des Marktes wiederherzustellen. Politisch kann das schwierig werden, denn einige Unternehmen dürften nach weiterer staatlicher Hilfe rufen. Das Argument: Der Staat stehe in der moralischen Pflicht, auch für die Spätfolgen der Pandemie und der ergriffenen Gegenmaßnahmen aufzukommen. Sofern der Staat dem im Einzelfall nachkommt, stellt eine solche Rettung aber klassische Subventionspolitik dar, die aus Steuern zu bestreiten wäre.

Während sich also die mikroökonomischen Aspekte der Fiskalpolitik nach Ende der Pandemie normalisieren, bleibt die Makro-Komponente unverändert: Weiterhin muss es das Ziel sein, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage so zu stabilisieren, dass es weder zu schweren Einkommensrückgängen und hoher Arbeitslosigkeit noch zu hoher Inflation kommt. Dies könnte schwierig werden, weil derzeit zwei extreme Szenarien denkbar sind. Erstens, ein rascher Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die das Angebot überfordert und Inflation erzeugt. Diese Gefahr wird vor dem Hintergrund steigender Teuerungsraten gerade kontrovers diskutiert. Kommt es so, ist eine restriktive Fiskalpolitik in Form höherer Steuern und/oder geringerer Ausgaben angezeigt. Die Staatsverschuldung muss nicht mehr ausgeweitet, sondern zurückgeführt werden, und auch die Geldpolitik muss die Zügel anziehen.

Oder es kommt – zweitens – umgekehrt: Die ökonomischen Wunden, die die Pandemie geschlagen hat, verhindern, dass sich die privaten Konsum- und Investitionsausgaben erholen, weil viele Unternehmen und Beschäftigte versuchen, die in der Krise entstandenen Vermögensverluste auszugleichen und Kredite zurückzuzahlen. Entsprechend würden Lohnstückkosten und Inflation auch nach Ende der Pandemie im Trend gedämpft verlaufen, so dass eine weiterhin lockere Fiskal- und Geldpolitik angebracht sein könnte.

Erholung nicht ausgemacht

Manche sagen für den ersten Fall ein politisches Problem voraus, das dem auf der mikroökonomischen Ebene ähnelt. Regierungen und Zentralbanken wie die EZB könnten vor der erforderlichen restriktiven Politik zurückscheuen, weil steigende Zinsen hoch verschuldete Staaten in den Bankrott treiben können. Abgesehen davon, dass sich die Staatsfinanzen im Aufschwung automatisch spürbar verbessern, sind genau für diesen Fall unabhängige Zentralbanken geschaffen worden, um die Inflation im Zaum zu halten. Sollte der große Nachfrageboom mit Inflation eintreten, wäre das ein erneuter Test dafür, ob die EZB ihrem Mandat gerecht wird.

Umgekehrt ist aber auch denkbar, dass Regierungen im Falle einer anhaltend schwachen Wirtschaftsentwicklung aus politischen Gründen vor einer weiter expansiven Fiskalpolitik zurückschrecken, weil Staatsschulden eben nicht nur populär sind. Wie in den Jahren vor der Pandemie würde dann wieder allein der Geldpolitik die Aufgabe übertragen, für makroökonomisches Gleichgewicht zu sorgen.

Noch ist unklar, mit welchem Szenario die Fiskalpolitik konfrontiert sein wird. Der jüngste Anstieg der Inflationsrate kann durchaus vorübergehender Natur sein, eine kräftige Erholung ist keine ausgemachte Sache. Daher ist jetzt sinnvoll, für beide Szenarien Handlungsoptionen zu entwerfen, damit die Fiskalpolitik in jedem Fall stabilisierend agieren und ihr Handeln politisch vermitteln kann.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der Autoren im Online-Magazin Makronom.

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