„Flat-Tax macht das Erben nicht treffsicherer und gerechter“
„Flat-Tax macht das Erben nicht treffsicherer und gerechter“
Gastbeitrag
Flat-Tax macht das Erben nicht gerechter
Von Achim Dannecker und Christian Jung, Kanzlei Gleiss Lutz
Die Ruhe ist dahin. Obwohl nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen, wird die Erbschaftsteuer und dort vor allem die Befreiung für produktives betriebliches Vermögen, politisch heftig diskutiert und beschäftigt derzeit – wieder einmal – das Bundesverfassungsgericht. Kritiker halten die Betriebsvermögensverschonung für verfassungswidrig oder „ungerecht“.
Als Alternative wird eine Flat-Tax ins Spiel gebracht, mit dem Argument, die gleich hohe Besteuerung von allem sei die einfache und gerechte Lösung und entspreche dem Gleichbehandlungsgebot der Verfassung. Dabei würden alle Erwerbe mit einem einheitlichen, deutlich niedrigeren Satz besteuert, wobei die Bandbreite von ca. 8 bis 16% reicht; zugleich sollen alle Begünstigungen für einzelne Vermögensarten entfallen. Dadurch sollen vor allem sehr große Erbschaften von Betriebsvermögen stärker belastet werden. Allerdings würden alle Unternehmen und je nach Ausgestaltung kleinere Erbschaften zusätzlich belastet. Dies sollte in wirtschaftlichen Krisenzeiten sehr gut überlegt werden. Zudem ist fraglich, ob der Vorschlag tatsächlich rechtlich besser ist.
Liquidität und Arbeitsplätze
Die Betriebsvermögensverschonung soll die unternehmerische Liquidität schonen und damit auch Arbeitsplätze erhalten. Dies war 2009 ein Hauptmotiv für die Einführung unter Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt und zuletzt 2014 festgestellt, dass dieses Ziel die Begünstigung rechtfertigen kann.
Heute können Erwerbe von betrieblichem Vermögen bis zu 26 Mill. Euro zu 85% und, unter strengeren Voraussetzungen, zu 100% befreit sein. Für größere Unternehmen kann der Erwerber anstelle einer sogenannte Abschmelzlösung (in der Praxis untergeordnet) die Steuer auf die Hälfte seines nichtbetrieblichen Vermögens begrenzen. Dieser Erlass steht wie die Befreiung unter der Bedingung, dass das Unternehmen sieben Jahre fortgeführt wird. Die Voraussetzungen wurden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2014 deutlich verschärft.
Ein Beispiel: Die Tochter erbt vom Vater ein Unternehmen mit einem Wert 300 Mill. Euro. Daneben hat sie bereits Vermögen von 10 Mill. Euro und erwirbt vom Erblasser auch Aktien und Mietshäuser (30 Mill. Euro). Dann zahlt sie 9 Mill. Euro Erbschaftsteuer (30% auf 30 Mill. Euro) auf das sonstige erworbene Vermögen sowie 20 Mill. Euro (50% von 30 Mill. + 10 Mill. Euro) „abgeltende“ Steuer auf die Steuer für das Betriebsvermögen, der Rest der an sich bedungenen 90 Mill. Euro wird erlassen.
Flat-Tax belastet kleine und mittlere Unternehmen
Bei einer Flat-Tax würde alles mit einem einheitlichen Steuersatz von z.B. 10% besteuert. Ob große Unternehmenserbschaften damit tatsächlich stärker besteuert würden, ist offen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer IDW kam 2024 zu dem Ergebnis, dass eine Flat-Tax vor allem kleinere und mittlere Unternehmen stärker belasten würde, während Erwerbe großer Unternehmen sogar geringer besteuert würden. Im Einzelfall hinge der Effekt von Art und Größe des Unternehmens sowie dem Umfang des verfügbaren nichtbetrieblichen Vermögens und der tatsächlichen Fortführung ab.
Im obigen Beispiel fielen exemplarisch nicht 29 Mill. Euro, sondern 33 Mill. Euro Steuern an. Bei mitvererbtem Privatvermögen von 50 Mill. Euro wäre die Steuer im derzeitigen System bereits 45 Mill. Euro (15 Mill. Euro Erbschaftsteuer und 30 Mill. Euro abgeltende Steuer), bei der Flat-Tax nur 35 Mill. Euro. Kürzlich wurde die größte Erbschaftsteuerzahlung aller Zeiten mit 4 Mrd. Euro bekannt; auch das derzeitige System kann also zu erheblichen Steuerzahlungen führen.
Profitieren würden die Erben großer Privatvermögen, die statt 30% nunmehr nur noch z.B. 10% Steuer zahlen würden. Da Betriebs- und Privatvermögen gleich besteuert würden, entfiele der Anreiz, Betriebe fortzuführen oder Geld in Familienunternehmen zu investieren. Den Unternehmen fehlte die für die Erbschaftsteuer zu entnehmende Liquidität für Investitionen. Das stellt einen massiven Wettbewerbsnachteil für all die Unternehmen dar, die mit Nicht-Familienunternehmen ohne Erbschaftsteuerlast konkurrieren.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass die meisten kleineren Erbschaften derzeit steuerfrei bleiben. Dies liegt an den Freibeträgen und der Befreiung für Familienheim und Hausrat. Bei einer Flat-Tax wären diese verfassungsrechtlich wohl kaum in diesem Umfang zu rechtfertigen und ist in vielen Modellen auch nicht vorgesehen. Damit besteht die Gefahr, dass weite Teile der Bevölkerung höher belastet werden.
Fungibilität des Betriebsvermögens geringer
Die Flat-Tax wirft zudem verfassungsrechtliche Fragen auf. Karlsruhe prüft Steuergesetze primär an Art. 3 Grundgesetz, dem Gleichheitssatz, nach dem gleiche Sachverhalte gleich, unterschiedliche Sachverhalte aber unterschiedlich zu behandeln sind. Das Gericht hatte 1996 festgestellt, dass die Verfügbarkeit über den Betrieb und einzelne dem Betrieb zugehörige Wirtschaftsgüter beschränkter ist als bei betrieblich ungebundenem Vermögen. Der Gleichheitssatz fordere, diese verminderte Leistungsfähigkeit bei den Erben zu berücksichtigen, die einen solchen Betrieb weiterführen, also den Betrieb weder veräußern noch aufgeben.
Man mag darüber streiten, ob dies einer Flat-Tax von vornherein entgegenstünde. Richtig ist aber: Solange der Erbe das Unternehmen nicht verkauft oder zerschlägt (was er oft gar nicht kann), erwirbt er lediglich die Aussicht auf die künftigen Erträge des Unternehmens, die mit erheblichen Unsicherheiten belastet und oft überwiegend gebunden sind. Sofern er sie realisiert, muss er sie bereits mit Einkommensteuer von derzeit knapp 50% versteuern – zusätzlich zur Erbschaftsteuer, die aus vollversteuertem Vermögen zu zahlen ist.
Die Bewertung von Unternehmen ist tendenziell sehr hoch und wegen ihrer Abhängigkeit von der künftigen Unternehmensplanung nicht ohne Grund sehr streitanfällig. Unseres Erachtens ist sie deshalb auch verfassungsrechtlich relevant. Der Wert eines Unternehmens besteht in erwarteten Zukunftserträgen und ist nicht vorhandene Substanz – wie bei Immobilien – oder ständig realisierbar – wie bei Wertpapieren. Dazu kommt, dass der gesamte Unternehmenswert stets anteilig den Gesellschaftsanteilen zugerechnet wird, obwohl viele Anteile durch vertragliche Begrenzung der Ausschüttung von Gewinnen, eingeschränkte Veräußerungsmöglichkeiten, Stimmrechtsbindungen und Abfindungen unter dem Verkehrswert teils drastisch dahinter zurückbleiben.
Verfassung schützt Betriebe
Verfassungsrechtlich problematisch kann es sein, wenn Regelungen leicht umgangen werden können. Dies wird derzeit häufig kritisiert. Der Gesetzgeber sollte als missbräuchlich angesehene Konstellationen gegebenenfalls punktuell entgegenwirken. Es ändert aber nichts daran, dass das Ziel, Betriebe und Arbeitsplätze zu schützen, richtig und von der Verfassung gedeckt ist.
Gerade in der derzeitigen Krise sollte Deutschland Interesse daran haben, Investitionen in Betriebe und den Erhalt von Arbeitsplätzen zu fördern. Dies erreicht das aktuelle System, nicht aber die Flat-Tax, die die Lasten der Erbschaftsteuer breit und wirtschaftspolitisch sinnwidrig neu verteilt. Es ist keineswegs ausgemacht, dass eine Flat-Tax verfassungsrechtlich „gerechter“ wäre. Die eigentliche Diskussion sollte daher sein: Wie können produktives Vermögen, sowie die zu erfassende Leistungsfähigkeit möglichst einfach, rechts- und gestaltungssicher abgegrenzt werden? Oder der Gesetzgeber entscheidet, die sehr verwaltungsintensive Erbschaftsteuer, die nur 1% der Steuereinnahmen bringt, ganz abzuschaffen.
