„Für eine weitere Zinssenkung der EZB müsste schon einiges passieren“
Im Interview: Emanuel Mönch
„Für eine Zinssenkung müsste schon einiges passieren“
Der Geldpolitikexperte Mönch erwartet eine lange EZB-Zinspause, sieht hohe Hürden für einen Notenbankeinsatz wegen Frankreich und sorgt sich um die Fed
Ohne einen größeren Schock erwartet Emanuel Mönch keine Zinssenkung der EZB mehr. Der Ökonom und Geldpolitikexperte ist zudem alarmiert wegen der politischen Angriffe auf die Fed. Der Verlust der Unabhängigkeit der Notenbank hätte gravierende Konsequenzen für die globalen Finanzmärkte.
Das Interview führte Martin Pirkl.
Herr Mönch, an den Finanzmärkten schwinden die Hoffnungen der Anleger auf eine zusätzliche Zinssenkung der EZB. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine weitere Lockerung der Geldpolitik bis Dezember?
Die Wahrscheinlichkeit ist nicht hoch. Dafür müsste schon einiges passieren. Ohne einen größeren Schock, der die Inflation im Euroraum deutlich senkt, wird die EZB die Leitzinsen nicht weiter senken.
Wie könnte so ein Schock aussehen?
Eine erneute Eskalation im Handelskonflikt mit den USA, die zu einer Rezession im Euroraum führt, wäre ein Beispiel dafür. Ich halte das für unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Die Politik des US-Präsidenten ist so erratisch, da muss man mit allem rechnen. Die Wirtschaft der Eurozone hat sich in diesem Jahr bislang zwar überraschend robust gezeigt, sie ist aber nicht so solide, dass sie eine erneute Eskalation im Handelskrieg oder in der Geopolitik nicht in die Rezession bringen könnte. Ein anderes Beispiel könnte eine weitere deutliche Aufwertung des Euro gegenüber dem Dollar sein. Auch das wirkt disinflationär für die Eurozone.
Die verzögerten Auswirkungen des bisherigen Handelskonflikts reichen Ihrer Einschätzung nach also nicht aus, um die Inflation im Euroraum so stark zu dämpfen, dass die EZB eine weitere Zinssenkung beschließt?
Durch die Zölle wird die US-Nachfrage nach europäischen Gütern sinken. Das wirkt leicht preisdämpfend für die Eurozone. Die Effekte dürften aber nicht immens sein. Das zeigt sich auch an den neuen Projektionen der EZB zu Inflation und Wirtschaftswachstum. Die Unsicherheit von Unternehmen und Verbrauchern durch die Handelspolitik der USA ist zwar weiter erhöht, aber im Vergleich zum Frühjahr deutlich gesunken. Das wiederum reduziert die disinflationären Effekte für den Euroraum.
Sie rechnen also mit keiner Zinssenkung der EZB mehr. Halten Sie das auch für die angemessene Geldpolitik?
Nach jetzigem Stand der ökonomischen Daten halte ich es für richtig, die Geldpolitik im Euroraum nicht weiter zu lockern. Ich befürworte zudem, dass sich die EZB alle Optionen offen hält und bereitsteht, die Zinsen doch nochmal zu senken, sollte sich der Inflationsausblick stark verändern. Wie angesprochen gibt es mögliche Schocks, die eine Neujustierung der Geldpolitik erforderlich machen könnten.
Die EZB wird TPI nicht benutzen wollen, alleine schon, weil es ein politisch sehr heikles Instrument ist.
Emanuel Mönch
In diesem Jahr standen und stehen einige Wechsel im EZB-Rat an. Erwarten Sie dadurch, dass sich etwas in der geldpolitischen Ausrichtung der Notenbank ändert?
Die einflussreichsten Mitglieder im EZB-Rat sind geblieben. Ich gehe daher nicht davon aus, dass die personellen Veränderungen in diesem Jahr einen größeren Einfluss auf die geldpolitische Ausrichtung der Zentralbank haben werden.
Viele Fragen auf der Pressekonferenz der EZB drehten sich am Donnerstag darum, was die politischen und fiskalischen Entwicklungen in Frankreich für die Notenbank bedeuten. Halten Sie Anleihekäufe der EZB im Rahmen des TPI-Programms zur Stützung Frankreichs für realistisch?
Die Latte für einen solchen Eingriff hängt sehr hoch. Die EZB wird TPI nicht benutzen wollen, alleine schon, weil es ein politisch sehr heikles Instrument ist. Sie wird es daher nur im absoluten Notfall einsetzen. Den sehe ich aktuell nicht kommen.
Bislang kam TPI seit der Einführung im Juli 2022 auch noch nie zur Anwendung. Hat aber alleine die Existenz dieses sogenannten Transmissionsschutzinstruments bereits einen Effekt?
Ja, das haben wir beispielsweise bei der Einführung gesehen. Die Spreads italienischer Staatsanleihen sind damals auch ohne den Einsatz von TPI gesunken. Auch jetzt bei Frankreich trägt die bloße Existenz von TPI sicher mit dazu bei, den Druck auf dem Anleihemarkt etwas zu deckeln.
Es könnte eine US-Staatsschuldenkrise entstehen, mit weitreichenden Folgen für die Finanzmärkte.
Emanuel Mönch
Mehrere EZB-Ratsmitglieder haben sich zuletzt äußert besorgt gezeigt wegen der Angriffe der US-Regierung auf die politische Unabhängigkeit der Fed. Befürchten auch Sie, dass es Donald Trump gelingt, die Notenbank gefügig zu machen?
Ja, auch ich bin ziemlich besorgt. Der Rechtsstreit um die Entlassung der Fed-Gouverneurin Lisa Cook wird wohl vor dem Obersten Gerichtshof der USA landen. Es ist schwer vorherzusagen, wie das ausgehen wird. Trump hat durch Nominierungen von Richterinnen und Richtern eine Situation geschaffen, die es durchaus möglich macht, dass der Oberste Gerichtshof in seinem Sinne entscheidet. Es ist schade, so etwas sagen zu müssen. Vor Jahren hätte ich eine solche Situation noch völlig ausgeschlossen. Und auch abseits der Personalie Cook arbeitet Trump ja daran, innerhalb des Offenmarktausschusses der Fed eine ihm gewogene Mehrheit zu schaffen.
Welche Folgen hätte eine politisch abhängige Fed für die USA, aber auch den Rest der Welt?
Das ist im Detail noch gar nicht alles abzusehen. Klar ist aber, die Konsequenzen für die globalen Finanzmärkte wären gravierend. Niedrige Zinsen in den USA gepaart mit hoher Inflation könnten etwa den Druck auf US-Staatsanleihen besonders mit langen Laufzeiten verstärken. Das würde die Refinanzierungskosten und damit die Schuldenlast des amerikanischen Staates weiter erhöhen. In der Folge könnte eine US-Staatsschuldenkrise entstehen, mit weitreichenden Folgen für die Finanzmärkte.
Die Finanzmärkte reagieren aber bislang ziemlich gelassen. Die Marktreaktionen waren weitaus größer, als Trump im April seine sogenannten reziproken Zölle verkündet hatte.
Es ist wirklich schwer zu erklären, weshalb die Marktreaktionen bislang so verhalten ausgefallen sind. Vielleicht gibt es gegenläufige Effekte. Der Boom von Dollar-basierten Stablecoins etwa erhöht die Nachfrage nach US-Staatsanleihen und drückt deren Zinsen, und das relativ unabhängig von der Geldpolitik der Fed. Ich habe dennoch die Sorge, dass es irgendwann an den Finanzmärkten zu einer plötzlichen Neubewertung der Lage kommen könnte, wenn sich bei den Investoren die Erkenntnis durchsetzt, was in den USA alles im Argen liegt. Ein massiver Einbruch an den Finanzmärkten wäre dann die wahrscheinliche Folge.