NOTIERT IN FRANKFURT

Gänsebraten to go

Die Coronakrise ändert bekanntermaßen fast alles. Das gilt im Besonderen für den Mittagstisch an Arbeitstagen. Die Kantinen sind zu. Und Teeküchen sind, sofern sie nicht ebenfalls geschlossen sind, ohnehin unwirtliche Orte, in denen die Einnahme von...

Gänsebraten to go

Die Coronakrise ändert bekanntermaßen fast alles. Das gilt im Besonderen für den Mittagstisch an Arbeitstagen. Die Kantinen sind zu. Und Teeküchen sind, sofern sie nicht ebenfalls geschlossen sind, ohnehin unwirtliche Orte, in denen die Einnahme von Speisen nur sehr bedingt Vergnügen bereitet. Bleibt natürlich die von zu Hause mitgebrachte Semmel, die aber zwischen Computer, Stiftebox, Papierstapeln und Ablagekasten nicht wirklich ein kulinarischer Leckerbissen ist. Kein Wunder also, dass derzeit die Schlangen vor den einschlägigen Metzgereien im Banken- und Bahnhofsviertel so lange werden wie in früheren Zeiten an den Ticket-Vorverkaufsstellen vor einem Stones-Konzert. Für die Warterei auf Putenschnitzel oder heiße Fleischwurst müssen derzeit gut und gerne 20 Minuten eingeplant werden – also ungefähr die Zeit, die man früher beim Italiener um die Ecke ausharren musste, bis der Kellner das Mittagsmenü servierte. Ein Tipp unter Freunden: Gegen den allgemeinen Trend kürzer geworden sind in diesen Tagen lediglich die Wartezeiten vor den heißen Imbissen in der Kleinmarkthalle, da sich dort kaum mehr asiatische Reisegruppen drängen. *Verspeist werden darf der Mittagstisch natürlich coronabedingt nicht vor Ort. Das führt zu einer ganz neuen Form der Open-Air-Gastronomie. Rund um die Bankhochhäuser sind dieser Tage immer wieder Trupps von Anzugträgern in dicken Winterjacken zu sehen, die das gewohnte Kantinentreffen unter den freien Himmel verlegt haben. Zwischen Alter Oper und Taunusanlage entdeckt man jede Menge kleine Runden, die Bänke oder Geländer zu Mittagstafeln umfunktionieren. Auch hier eine vertrauliche Empfehlung: Der Brunnen am Liebfrauenberg ist ein idealer Platz für einen Imbiss in winterlicher Kälte. Sozusagen für den Lunch on the rocks. * Um Missverständnissen vorzubeugen: Mittagstisch im Freien bedeutet mitnichten den Verzicht auf edle Speisen und feine Küche. Gestern etwa traf sich im Herzen Frankfurts ein Sextett an Jungmanagern open air zum Gänsebraten auf die Hand. Natürlich mit lecker Knödeln und Rotkraut. Und es ist gewiss kein Zufall, dass sogar die Fleischabteilung im Westend-Supermarkt das Angebot um Speisen weit jenseits von frugalen Frikadellenbrötchen aufgerüstet hat. Wer weiß, vielleicht erscheint in der Stadt der tausend Restaurantführer demnächst einmal ein Gourmet-Brevier für die besten, sterneverdächtigen heißen Mittagstheken.Eine Alternative zum Lunch am Brunnen ist die Neubelebung des Flying-Buffet-Gedankens – in Form des Mittagsspaziergangs mit Kollegen durchs Westend und den Grüneburgpark, um an bestimmten Stationen Hauptspeise, Dessert und – nach dem Mahl – ein Heißgetränk aufzunehmen. Etwa heiße Worscht, gedeckter Apfel und danach einen Cappuccino. Das ist dann im eigentlichen Wortsinn Mittagessen to go.