Energieversorgung

Gas-Engpässe treffen Deutschland besonders stark

Studien zufolge könnte ein abrupter Gasstopp Deutschland etwa 13% der Wertschöpfung kosten, allerdings hat das Risiko von Engpässen zuletzt etwas abgenommen. Die Speicher füllen sich. Ökonomen sind aber weiter besorgt.

Gas-Engpässe treffen Deutschland besonders stark

Deutschland würde Studien zufolge stärker als alle anderen westlichen Länder von einem abrupten Stopp russischer Gaslieferungen getroffen werden. Das könnte 12,7% der Wirtschaftsleistung kosten, geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Prognos-Studie für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) hervor. Auch bei den gestiegenen Strompreisen steht Deutschland viel schlechter da als andere Länder. Frankreich, die Schweiz, die USA und Japan würden davon deutlich weniger stark in Mitleidenschaft gezogen, heißt es in einer Analyse des ZEW. Immerhin hat laut den führenden Forschungsinstituten zumindest die Gefahr einer Versorgungslücke mit Erdgas im Falle ausbleibender Lieferungen wieder etwas abgenommen, weil die Gasspeicher nach und nach gefüllt werden.

Ein abruptes Ende von russischen Gas-Importen hätte auch deutliche Auswirkungen auf die Erwerbstätigen in Deutschland, sagte VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. „Insgesamt wären rechnerisch etwa 5,6 Millionen Arbeitsplätze von den Folgen betroffen.“

Wegen gesetzlich festgelegter Mindestmengen in Speichern und der vorrangigen Versorgung von Haushalten und Einrichtungen wie Krankenhäusern könnte der Gasbedarf der Industrie nicht einmal zur Hälfte gedeckt werden.

„Besonders betroffen sind Branchen wie die Glasindustrie oder die Stahlverarbeitung, dort müssen wir davon ausgehen, dass die Wertschöpfung um fast 50% zurückgeht“, so Brossardt. „Ähnliches gilt für die Chemie-, Keramik-, Nahrungsmittel-, und Textilbranche sowie das Druckereiwesen. Hier liegen die Wertschöpfungsverluste bei über 30%.“

Energieintensive Betriebe unter Druck

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar sind die Energiepreise noch einmal gestiegen – aber mit deutlichen regionalen Unterschieden. Das Mannheimer Forschungszentrum ZEW hat die Strompreise im ersten Quartal analysiert. Danach sind Deutschland und die Niederlande am stärksten negativ betroffen. Die Preisanstiege in den USA und Kanada seien moderater und von einem niedrigeren Niveau kommend. In Japan seien keine Effekte wahrzunehmen. In Europa sei die Lage in Frankreich wegen der besonderen Bedeutung der Atomkraft und in der Schweiz wegen der Wasserkraft wesentlich besser. In EU-Staaten wie Österreich, Finnland, Ungarn, der Slowakei und Tschechien sei die Abhängigkeit von Russland zwar noch größer. Ihr Energiebedarf sei aber insgesamt kleiner und damit leichter zu ersetzen als in Deutschland oder den Niederlanden. Gerade für energieintensive Betriebe werde Deutschland unattraktiver, teilte die Stiftung Familienunternehmen mit, die die ZEW-Studie in Auftrag gegeben hat.

Forschungsinstitute verweisen aber auch auf die inzwischen bessere Vorsorge. „Waren die deutschen Gasspeicher im vergangenen April nur zu 30% gefüllt, so hat der Füllstand zuletzt 58% erreicht“, so das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das Münchner Ifo-Institut, das Essener RWI und das IWH Halle. Dennoch sei die Versorgung der Industrie bei einem sofortigen Lieferstopp nicht in jedem Fall gesichert. So ergebe sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% im kommenden Jahr eine Gaslücke von mindestens 23,8 Terawattstunden (TWh) – „im sehr unwahrscheinlichen schlechtesten Fall fehlen sogar fast 160 TWh“. Durch den daraus resultierenden Produktionsausfall in den gasintensiven Industrien und ihren unmittelbaren Abnehmern käme es zu einem Wertschöpfungsverlust von rund 46 Mrd. Euro, der im schlimmsten Fall auf 283 Mrd. Euro steigen könnte. Das entspricht 1,6 beziehungsweise 9,9% der deutschen Wirtschaftsleistung von 2021.

Es sei durchaus erforderlich, die gestiegenen Beschaffungskosten der Unternehmen zeitnah an Verbraucher weiterzugeben, so die Institute. „Denn dann sinkt der Energieverbrauch.“ Da höhere Preise bereits einen starken Anreiz für Einsparungen lieferten, seien zusätzliche staatliche Prämien nicht notwendig. Stattdessen sollten bedürftige Haushalte durch gezielte Transfers unterstützt werden.