NOTIERT IN FRANKFURT

Gefühlte Notlage

Mit Gefühlen ist das so eine Sache, wie nicht zuletzt seit Loriots Diskussion ob des Härtegrades eines gekochten Eies klar ist. Ein Gefühl steht oft Tatsachen, Gewohnheiten und objektiven Betrachtungsweisen diametral entgegen. Wie etwa bei der...

Gefühlte Notlage

Mit Gefühlen ist das so eine Sache, wie nicht zuletzt seit Loriots Diskussion ob des Härtegrades eines gekochten Eies klar ist. Ein Gefühl steht oft Tatsachen, Gewohnheiten und objektiven Betrachtungsweisen diametral entgegen. Wie etwa bei der Wohnsituation in Großstädten. Wer Londoner Verhältnisse gewohnt ist mit Mieten von derzeit 1 524 Pfund (um die 1 735 Euro) im Monat im Schnitt aller Wohnungsgrößen, der wird über die in Frankfurt fälligen rund 1 200 Euro nur müde lächeln können. So weit muss man allerdings erst einmal kommen. Ist die Wohnung nicht bereits vergeben, wenn man einen Besichtigungstermin ausmacht, erscheint sie zumeist als überteuert, stärker renovierungsbedürftig oder kleiner als angekündigt – und der einzige Interessent ist man sowieso nicht. Ganz zu schweigen von den Buden, die ob ihres Alters, ihrer Lage und ihrer Eigentümerstruktur kurz vor der Luxussanierung stehen.In der Bankenhochburg nicht nur arbeiten, sondern auch leben zu wollen, hat seinen Preis – im wahrsten Sinne des Wortes. Und auch wenn es der Finanzplatz verdient hat, zum Magnet für all die Londoner Brexit-Flüchtlinge zu werden, steht der Freude über den Zuzug der Neufrankfurter die Sorge vor einem sich weiter verschärfenden Wettbewerb um bezahlbaren Wohnraum gegenüber. Gefühlt passt der Geldbeutel nicht zu Wohnungslage, -größe und -ausstattung. *Wer nun seine Nase über den Stadtrand hinausstreckt und die Suche ins gefühlte Wohnungseldorado – das Frankfurter Umland – ausweitet, steht vor einem Zusatzproblem. Im ländlichen Raum wohnt es sich zwar ganz angenehm und die Suche nach einer Behausung fällt einen Tick leichter, doch dann gilt es den Weg nach Mainhattan zu meistern. Etwa mit dem eigenen Auto, das aber irgendwo abgestellt werden muss. Nun ist bezahlbarer Parkraum in Frankfurts Innenstadt ähnlich rar wie Wohnraum. Besser also der öffentliche Nahverkehr? Der hat auch seine Tücken, denn die Bahn hat vier Dauerprobleme: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Da können Ausländer noch so oft betonen, dass der Zugverkehr in Deutschland recht zuverlässig sei – der Pendler entwickelt seine eigene Sicht der Dinge. Bei zehn Verspätungen in einer Fünftagewoche klingt “Wir bitten die Verspätung zu entschuldigen” wie Hohn. Wobei Verzögerungen von weniger als 10 Minuten gefühlt noch gar nicht als Verspätung zählen.Im Sommer ist die Bekleidung oftmals das größte Problem. Was soll der Pendler tragen, damit er unterwegs weder den Hitze- noch den Kältetod stirbt? Denn entweder ist die Klimaanlage an und kühlt gnadenlos alles auf eine vom Schaffner nicht feinzujustierende Temperatur herunter, oder sie ist aus und man fühlt sich wie in der Sauna. Wohl dem, der einen Schaffner findet, der im Nahverkehr die winzigen Fensterschlitze zum Öffnen freigibt. Bleibt oftmals nur, das eigene Gefühl nachzujustieren, um mit den Gegebenheiten zurechtzukommen.