Tarifpolitik

Gewerkschaften auf Arbeitgeberkurs

Mit einem eigenen Leiharbeiterunternehmen will die GdL künftig Tarifverhandlungen umgehen und mehr für ihre Mitglieder herausholen. Ein Streitfall im Gewerkschaftslager und das bisherige Selbstverständnis als Arbeitnehmerorganisation konterkarierend.

Gewerkschaften auf Arbeitgeberkurs

Gewerkschaften auf Arbeitgeberkurs

Die Lokführer wollen mit eigener Leiharbeitergenossenschaft mehr aus der Bahn AG herausholen

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Der laufende Bahnstreik in Deutschland ist nur eine Episode in den immerwährenden Tarifauseinandersetzungen bei der Bahn. Mal streikt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), mal die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) – oder über das Jahr verteilt die Züge und Signale höchstselbst. Aktuell fallen im Streik gut 80% aller Züge aus. Erst ab Samstagmorgen soll der Zugverkehr dann wieder wie gewohnt laufen.

Weselsky zeigt sich streikfreudig

GDL-Chef Claus Weselsky verteidigte den Streik und stellte weitere Aktionen in Aussicht. „Wenn nichts kommt bis Freitag, machen wir eine Pause und gehen in den nächsten Arbeitskampf“, sagte er im ZDF-"Morgenmagazin“ nach Beginn des Streiks. Er kritisierte das jüngste Angebot der Bahn als Provokation, obwohl die Bahn zuletzt mehr Arbeitszeitmodelle angeboten hatte, an die Tarifgespräche anknüpfen könnten.

Wichtiger ist aber ein ganz anderer, bislang eher im Hintergrund spielender Aspekt im Kampf der Lokführer gegen die Bahn-Führung: Die GDL hat eine Leiharbeitsfirma, Fairtrain e.G., gegründet, um Lokführer von der Bahn quasi abzuwerben und sie dann wieder dem Unternehmen als deutlich höherpreisige Leiharbeiter anzudienen. Da Lokführer Mangelware sind, kann man sich ausmalen, wie das die Personalkosten treiben und auf die Ticketpreise durchschlagen wird. Das hat natürlich auch umweltpolitische Folgen für die Mobilität und könnte die hehren Ziele der Ampel, mehr Bürger auf die Schiene zu bringen, konterkarieren.

Gerichte müssen noch entscheiden, ob die GDL in ihrer Rolle als Gewerkschaft und gleichzeitiger Leiharbeitgeber überhaupt noch „tariffähig“ wäre oder damit ihr Existenzrecht verwirkt hätte. Denn es hat schon ein Gschmäckle, wenn man sich den Werdegang der neuen Genossenschaft anschaut: Weselsky hat zunächst mit einer Leiharbeitergenossenschaft gedroht, und sie dann auch gründen lassen. Am 20. September 2023 hat die Agentur für Arbeit der Fairtrain e.G. die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung erteilt. Noch am selben Tag wurden „Tarifverhandlungen“ gestartet und die Verträge am 18. Oktober unterschrieben. Pikant ist, dass die Genossenschaft offen innerhalb der GDL wildert: „Du bist Mitglied bei der GDL? Prima! Dann werde Teil der Genossenschaft und profitiere“, heißt es auf der Homepage.

Ein Urteil über die Tariffähigkeit der GDL dürfte erst in einigen Wochen fallen und käme für den gegenwärtigen Tarifkonflikt zu spät. Aber selbst wenn der GDL die Tariffähigkeit entzogen würde, wäre das für die Genossen zu verschmerzen, sofern das Leiharbeitsmodell erfolgreich wäre. Und dafür spricht einiges. Denn Lokführer werden händeringend gesucht.

Nachahmer in anderen Branchen

Das Modell würde in anderen Branchen mit ähnlich enger Berufsstruktur wohl Nachahmer finden. Und damit hätte es die Wucht, die bundesweite Gewerkschaftslandschaft in Bewegung zu bringen. Schon bald könnten gewerkschaftliche Genossenschaften in einer Art arbeitsmarktpolitischer Monopolstellung Unternehmen gegenüberstehen, die dieser „Tarifsetzungsmacht“ nicht mehr viel entgegenzusetzen hätten. Auch das gewerkschaftliche Selbstverständnis würde infrage gestellt. Der Gesetzgeber wäre gefordert. Und auch die Justiz, weil wettbewerbsrechtliche Fragen zu klären sind.

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