Verdoppelung der Quote befürchtet

Gigantische Schuldenpolitik macht polnisches Wirtschaftswunder zunichte

Die polnische Regierung unter Donald Tusk hatte sich zu Jahresanfang einiges vorgenommen. Doch jetzt ist sehr viel Sand ins Getriebe gekommen.

Gigantische Schuldenpolitik macht polnisches Wirtschaftswunder zunichte

Polens Schulden drohen zu explodieren

Verdoppelung in den kommenden anderthalb Jahrzehnten befürchtet – Wacklige Regierung gefährdet Wirtschaftswachstum

Von Sebastian Becker, Warschau

2025 wird ein Durchbruchsjahr, hatte Ministerpräsident Donald Tusk im Februar noch vollmundig versprochen – und ein schier gigantisches Investitionsprogramm vorgestellt: Umgerechnet rund 160 Mrd. Euro wollte Polen im laufenden Jahr investieren, also rechnerisch mehr als 40% der jährlichen Wirtschaftsleistung Hessens. Das Programm ist ein wichtiger Baustein der Strategie von Tusk, mit der er zum Amtsantritt Ende 2023 das Land zu einem „Anführer in Europa“ machen wollte.   

Doch jetzt hat die polnische Regierung einen erheblichen Dämpfer erhalten – und die Zeit der großen Worte ist erstmal vorbei. „Die Verschuldung könnte innerhalb der kommenden anderthalb Jahrzehnte auf 107% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) explodieren“, warnte Sławomir Dudek, Präsident des polnischen Instituts für Öffentliche Finanzen (Instytut Finansów Publicznych) auf dem „Europäischen Finanzkongress“ am vergangenen Wochenende.

Schulendstand relativ niedrig, wächst jedoch deutlich

Der Fachmann spielte darauf an, dass die Regierung das Wachstum keinesfalls mit Schulden finanzieren dürfe. Zum Vergleich: Die Quote in Relation zum BIP lag im ersten Quartal bei europaweit relativ niedrigen 57,4%. Das Haushaltsdefizit betrug bis Mai 2025 108 Mrd. Zloty oder 25 Mrd. Euro und war damit mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahr.

Die Warnung kam für Tusk zu einem Zeitpunkt, wie er ungünstiger nicht sein konnte. Denn der Ministerpräsident steht gerade massiv unter Druck – eine Situation, mit der zu Jahresanfang wohl kaum jemand gerechnet hatte. So hat er Anfang Juni sogar die Vertrauensfrage gestellt, um sich an der Macht zu halten. Die unerwartete Niederlage bei den Präsidentenwahlen zuvor hatte ihn dazu gezwungen. Er erhielt 243 Stimmen, eine mehr als die komplexe Sechs-Parteien-Koalition hat. Sie verfügt gerade einmal über eine Mehrheit von 12 Stimmen.

Wacklige Regierung

Wie wackelig die Regierung in Wirklichkeit ist, wurde vielen Marktbeobachtern jetzt erst klar. Deutsche Unternehmensvertreter haben sich auch schon mal beklagt, wie wenig effektiv sie arbeite. Beispielsweise sei Ende 2024 die Einführung eines Pfandsystems völlig chaotisch abgelaufen. Es gilt ab Oktober und ist ein wichtiges Projekt der Regierung, weil es ganz Polen betrifft.

Die anhaltend positive Berichterstattung der internationalen Medien, die jetzt sogar mitunter von „Polen als neues wirtschaftliches Herz Europas“ berichten, sind offenbar den Entscheidungsträgern zu Kopf gestiegen. So bleibt die Regierung bei ihren Wirtschaftsprognosen optimistisch: 2026 liege das Wachstum 3,5%, im laufenden Jahr sollen es 3,7% sein, so die Prognosen.

Wertvolle EU-Mitgliedschaft

Grundsätzlich ist die Entwicklung zwar ordentlich verlaufen, weil es seit dem EU-Beitritt 2004 keine nennenswerte Rezession gegeben hat. Doch haben die EU und Deutschland einen sehr wichtigen Beitrag dazu geleistet. „Polen ist der größte Empfänger von EU-Mitteln im Verhältnis zur Größe der Wirtschaft und der Bevölkerung“, erklärt Marcin Klucznik vom Think-Tank PIE der Börsen-Zeitung. „Das Wichtigste ist aber der gemeinsame Markt und der freie Handel zwischen den Ländern“, sagt der Ökonom. „Nach einem Modell, das wir erstellt haben, wäre jetzt das BIP um 40% geringer, wenn Polen nicht vor 20 Jahren EU Mitglied geworden wäre“, sagt er.

Beim Außenhandel steuert Deutschland mit knapp einem Drittel der Exporte und einem Fünftel der Importe den Löwenanteil bei. Darüber hinaus ist das Land nominell der größte Investor. VW liegt mit zwei Töchtern auf dem 15. und 24. Platz einer aktuellen Liste der größten Firmen Polens. Wie die Tageszeitung „Rzeczpospolita“ berichtet, generieren beide Erlöse von 5,8 Mrd. Euro bzw. 5,6 Mrd. Euro. Generell steuert der Autosektor 8% zum BIP bei und ist damit groß. Zudem ist der Handel der größte Arbeitgeber des Landes – und hier mischt Lidl stark mit. Mit Umsätzen von 9,7 Mrd. Euro befindet sich die Kette auf dem 6. Platz.  

Wichtiger Bankensektor

Eine Säule ist der Bankensektor mit Gesamtaktiva von 510 Mrd. Euro. Nach Prognosen der Nachrichtenagentur PAP dürfte ihr Nettogewinn 2025 im Vergleich zum Vorjahr um 9,2% auf 10,7 Mrd. Euro steigen. Die Commerzbank-Tochter mBank spielt eine wichtige Rolle, weil sie mit ihren Ergebnissen die Mutter beeinflusst.   

Doch steht der Standort nun durch die Verschuldungspolitik der Regierung insgesamt unter Druck. So kritisiert zum Schluss der ehemalige Wirtschaftsminister Jerzy Hausner im Gespräch mit dem Fachdienst „Interia Biznes“ noch einmal die Kompetenz des Finanzministers, und die „fehlende Bescheidenheit der Regierung“. „Das wird im Kollaps enden“, betonte er. „Ein Regierungsumbau ist unbedingt notwendig“, rät er Tusk.  

sb Warschau
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