Energiepolitik

Habeck aktiviert Alarmstufe für Gas

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die zweite Stufe im Gas-Notfallplan ausgerufen. Die Industrie dringt auf eine rasche Lösung, damit die Mehrbelastungen für Versorger besser verteilt werden können.

Habeck aktiviert Alarmstufe für Gas

sp Berlin

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat wegen der seit Tagen gedrosselten Zuflüsse von Erdgas aus Russland durch die Pipeline Nord Stream 1 die zweite Stufe im Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland ausgerufen. „Wir haben in Deutschland eine Störung der Gasversorgung“, sagte Habeck zur Begründung. Die Ausrufung der Alarmstufe ist Voraussetzung dafür, dass die bereits am Wochenende vom Wirtschaftsminister vorgestellten Notfallmaßnahmen greifen können, mit denen die Bundesregierung den Verbrauch von Gas verringern will.

Unter anderem soll dazu in der Stromproduktion wieder verstärkt der Energieträger Kohle zum Einsatz kommen. Außerdem plant Habeck ein Gasauktionsmodell, das Anreize für die Industrie schaffen soll, den Gasverbrauch zu reduzieren. Schließlich stellt die Bundesregierung über die Förderbank KfW Kredite mit einem Volumen von 15 Mrd. Euro zur Verfügung, um den Einkauf von ausreichenden Gasmengen zur Befüllung der Gasspeicher in Deutschland trotz hoher Preise auf dem Spotmarkt sicherzustellen. Bis Anfang November soll der Füllstand von zuletzt knapp 60% auf 90% steigen, damit Deutschland im nächsten Winter nicht leichtes Ziel von Erpressungsversuchen aus Moskau wird.

Banger Blick auf Gasspeicher

Nach Berechnungen der Bundesnetzagentur sind die für den Winter angepeilten Füllstände der Gasspeicher allerdings schon jetzt kaum noch zu erreichen, sofern der russische Gaskonzern Gazprom seine Gaslieferungen nach Westeuropa weiter auf kleiner Flamme hält. Seit Mitte Juni fließen nur noch rund 40% der üblichen Mengen durch die Pipeline Nord Stream 1. Für Juli ist eine etwa zehntägige Wartung geplant, und Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, hat bereits Zweifel angemeldet, ob Gazprom die Gaslieferungen nach Westeuropa danach überhaupt wieder hochfährt.

Das und die unvermindert hohen Gaspreise auf dem Spotmarkt haben das Wirtschaftsministerium nun veranlasst, die Alarmstufe auszurufen – auch wenn der Kreml am Donnerstag erneut betonte, dass die verminderten Durchleitungsmengen nicht politisch motiviert sind.

Die Frühwarnstufe im Notfallplan Gas hatte Habeck Ende März aktiviert, nachdem Russland angekündigt hatte, Erdgas nur noch gegen Rubel zu liefern. Jetzt erfolgt erstmals die Ausrufung der Alarmstufe. Die dritte Eskalationsstufe, die der Bundesregierung direkte Eingriffe in den Gasmarkt wie etwa die Rationierung von Gas für Industriekunden ermöglichen würde, müsste das Kabinett gemeinsam beschließen.

„Das soll nicht passieren, in keinem Monat im besten Fall“, sagte Habeck am Donnerstag. Ausschließen könne er dieses Szenario allerdings nicht. Alle Maßnahmen seien darauf ausgerichtet, die Marktkräfte so weit wie möglich wirksam zu halten und Alternativen zu schaffen. Es gehe darum, Einsparungen vorzunehmen, auf andere Energieträger auszuweichen und die Infrastruktur dafür auszubauen, um die „Notfallstufe“ mit Zuteilungen von Gasrationen durch die Bundesnetzagentur abzuwenden.

Sorge vor „Lehman-Moment“

Die Preisanpassungsklausel im Energiesicherungsgesetz, die Versorgern die Weitergabe von erhöhten Gaspreisen auch in langfristigen Verträgen ermöglichen würde, wurde zunächst nicht aktiviert. Dafür ist neben der Ausrufung der Alarmstufe auch die Festellung einer erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimportmengen durch die Bundesnetzagentur erforderlich. Diese sei nicht gegeben, erklärte Bundesnetzagenturchef Klaus Müller am Donnerstag.

Nicht nur die Industrie dringt allerdings auf eine rasche Lösung zur Verteilung der Mehrkosten in der Gasbeschaffung. Habeck warnte vor einem „Lehman-Moment“ in der Energiewirtschaft, sollten einzelne Versorger die gestiegenen Gaspreise nicht mehr stemmen können und sollte durch einzelne Insolvenzen ein Domino­effekt ausgelöst werden.

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