Klimaprotest

„Im Schneckentempo“

Die Klimademo von Fridays for Future in Frankfurt wabert zwischen differenzierter Kritik an der Europäischen Zentralbank und offen zur Schau getragenem Antikapitalismus.

„Im Schneckentempo“

Von Stefan Reccius, Frankfurt

Geduldig lauscht die Generation Greta den Worten von Mauricio Vargas. Der Frankfurter – in Personalunion Finanzfachmann und Klima-Aktivist – spricht in hellgrünem T-Shirt mit Greenpeace-Schriftzug auf dem Rücken, kurzer Hose und Flip-Flops von der Ladefläche eines Kleinlasters zu einigen hundert überwiegend jungen Leuten, die sich vor den Glastürmen der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frankfurter Ostend versammelt haben, um gegen die in ihren Augen klimaschädliche Geldpolitik zu demonstrieren. Die EZB habe zwar inzwischen verstanden, dass es so nicht weitergehe, sagt Vargas, handle aber „im Schneckentempo“. Gedämpfter Applaus. Hanna Fischer von der Frankfurter Aktivistengruppe Koala Kollektiv übernimmt das Mikrofon. „Ihr bewegt Euch bereits in die richtige Richtung“, ruft sie gen EZB-Bau, „aber nicht schnell genug und nicht konkret genug.“ Kurz darauf setzt sich der Protestzug Richtung Alte Oper in Bewegung und skandiert, nun deutlich enthusiastischer: „Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“

Die Klimabewegung „Fridays for Future“ hat an diesem Freitagnachmittag das Bankenviertel zum Schauplatz für ihren Klimaprotest auserkoren. Der in Anlehnung an die schwedische Aktivistin Greta Thunberg als „Klimastreik“ bezeichnete Aufmarsch ist nicht die erste Protestaktion der Klimaschützer: Im März hatte Greenpeace Gleitschirmflieger mit Protestplakaten zur EZB geschickt. Diesmal wabert die Stimmung zwischen differenzierter Kritik am Finanzsystem und offen zur Schau getragenem Antikapitalismus in den Reihen der Demonstranten. Deren Wortführer erklären Währungshüter, Banker und Wirtschaftsbosse schon mal pauschal zu „Kriminellen“, die kollektiv und vorsätzlich den Planeten Erde zugrunde richteten.

Tatsächlich bieten EZB und Co. Kritikern Angriffsfläche. So profitieren von den umfangreichen Anleihekäufen überproportional stark Unternehmen mit klimaschädlichen Geschäftsmodellen, wie auch EZB-Direktorin Isabel Schnabel einräumt. Andererseits hat sich die Notenbank auf den Weg gemacht, klimaschädliche Unwuchten ihrer Geldpolitik in Teilen zu korrigieren. Klimaschutzkriterien einen höheren Stellenwert zuzugestehen, ist ein Ergebnis der im Juli verkündeten strategischen Neuausrichtung der EZB. In diesem Zuge sucht die Notenbank nun auch einen Naturwissenschaftler, der in Entscheidungen über den Umgang der EZB mit dem Klimawandel einbezogen werden soll. Das geht aus einer Stellenanzeige der EZB hervor, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete.

Den Klimaaktivisten kommt das alles aber zu langsam voran. Dass sich die Notenbank nun mehrere Jahre Zeit lassen wolle mit der praktischen Umsetzung ihrer neuen Strategie, nennt Vargas beim Protest vor der EZB „völlig inakzeptabel“. An der Spitze des Protestzugs halten Teilnehmer ein Banner, auf dem steht: „ECB: Walk the Talk – Stop funding Climate Killers NOW“. Die Formulierung ist einer in Fachkreisen geläufigen Phrase entlehnt, die so viel heißt wie: den Worten geldpolitische Taten folgen lassen. Finanzexperten sind allerdings skeptisch, dass es der EZB gelingt, die Klimapolitik der EU zu unterstützen: Nur 29% gaben in einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) an, der EZB dies zuzutrauen, zwei Drittel glauben das nicht.

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