NOTIERT IN BRÜSSEL

In der Burg von Bratislava

Wohl selten zuvor stand die 400 000-Einwohner-Stadt Bratislava so im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit wie in diesen Wochen. Dank der slowakischen Ratspräsidentschaft in der EU geben sich in der Donau-Stadt aktuell Kommissare, Minister,...

In der Burg von Bratislava

Wohl selten zuvor stand die 400 000-Einwohner-Stadt Bratislava so im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit wie in diesen Wochen. Dank der slowakischen Ratspräsidentschaft in der EU geben sich in der Donau-Stadt aktuell Kommissare, Minister, Abgeordnete, Banker und Lobbyisten die Klinke in die Hand. Gipfel folgt auf Gipfel, Konferenz auf Konferenz. Den Höhepunkt erlebt Bratislava aber am heutigen Freitag, wenn 27 EU-Staats- und Regierungschefs hier zu einem informellen Gipfeltreffen zusammenkommen – im Schlepptau ihre Mitarbeiter-Delegationen und mehr als 1 300 akkreditierte Journalisten aus nahezu 70 Ländern.Das Interesse ist groß wie nie, was aber auch verständlich ist, geht es in der früheren Krönungsstadt im Dreiländereck Slowakei, Ungarn und Österreich doch um die Zukunft Europas. Die EU-Regierungschefs wollen hier eine Antwort finden, wie es nach der Brexit-Entscheidung weitergeht. Theresa May wurde deshalb ja auch gar nicht erst eingeladen. *Trink- und feierwütige junge Leute haben Bratislava längst als Partystandort für sich entdeckt – Billigflieger und günstige Getränkepreise zeigen Wirkung. Dass das frühere Pressburg mit seiner wunderschön renovierten Altstadt aber weit mehr zu bieten hat, konnte die slowakische Ratspräsidentschaft in den vergangenen Wochen wiederholt zeigen. Das kulturelle Beiprogramm bei den Ministertreffen war bislang auf jeden Fall beeindruckend gewesen, wie man aus den Delegationen immer wieder hört. Die Latte für künftige Veranstaltungen dieser Art sei sehr hoch gelegt worden, hatte zuletzt auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bemerkt, der in der letzten Woche zum Ecofin-Rat in die Stadt gekommen war.Die Staats- und Regierungschefs werden auf ihrem heutigen Besuch unter anderem in das “Danubiana” geführt, das erste private Museum für moderne Kunst in der Slowakei, das im Jahr 2000 am Rande von Bratislava seine Tore geöffnet hat. Für den Kunstgenuss ist im Programm allerdings nur eine halbe Stunde vorgesehen, bevor die zweite große Arbeitssitzung des Tages beginnt. Die Rettung Europas hat eindeutig Vorrang. *Getagt wird in der Burg von Bratislava, einem gewaltigen viertürmigen Gebäude aus dem 9. Jahrhundert, das knapp 100 Meter oberhalb der Altstadt thront. Vielleicht kann die Burg ja so etwas wie ein Symbol für die EU werden – ein sicheres Fundament, das noch vielen Stürmen trotzen und damit auch noch eine lange Zeit bestehen kann. Viele konkrete Weichenstellungen sind in der Burg, die auch auf den slowakischen 10-, 20- und 50-Cent-Münzen zu sehen ist, heute zwar noch nicht zu erwarten. Dazu haben sich die EU-Staaten in den vergangenen Wochen viel zu zerstritten präsentiert. Aber zumindest der slowakische Regierungschef Robert Fico hofft schon darauf, dass hier eine Diskussion ihren Anfang nimmt, die dann später einmal als “Bratislava-Prozess” in die Geschichtsbücher Einzug hält. *Eine Diskussionsgrundlage hierfür hat am Mittwoch bereits EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit seiner Rede zur “Lage der Union” geliefert. Der Luxemburger hat ein konkretes Handlungsprogramm vorgelegt, das in den kommenden Monaten den Menschen noch einmal den Mehrwert deutlich machen soll, den Europa bietet. Die Reaktionen darauf waren durchaus vielfältig ausgefallen. Beifall kam von den großen Volksparteien, während andere eine “Vision” vermissten. Und aus linker Ecke kam ätzend: Der “alte, müde Mann Juncker” sei ein Symbol für die schlechte Verfassung der EU.Aber was will man machen, wenn man weiß, dass es zurzeit müßig ist, über eine Neufassung der EU-Verträge zu sprechen? Juncker zumindest hat gestern gleich weiter Volksnähe gezeigt und sich von jugendlichen Youtube-Stars aus Deutschland, Polen und Frankreich interviewen lassen – abschließendes gemeinsames Selfie inklusive. Sein heutiger Termin in Bratislava dürfte etwas weniger locker werden.