Industrie gefangen im Dauertief
Industrie gefangen
im Dauertief
Unerwartet starke Rückgänge bei Produktion und Exporten
ba Frankfurt
Die deutsche Industrie kommt in Zeiten des außen- und innenpolitischen Trubels aus der Bredouille nicht heraus: Die stark schwankende Automobilfertigung hat im September einen unerwartet kräftigen Produktionsrückgang zur Folge. Trotz gut laufender Geschäfte mit den USA sind die Exporte überraschend und deutlich gefallen. Vor allem wegen des Siegs von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl werden die Daten als Warnsignal für eine Änderung der Wirtschaftspolitik gesehen.
Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) ist der Output im produzierenden Gewerbe preis-, saison- und kalenderbereinigt um 2,5% zum Vormonat gesunken. Ökonomen hatten mit einem Minus von 1,0% gerechnet. Zudem revidierten die Statistiker den Fertigungszuwachs vom August auf 2,6% von zuvor 2,9% nach unten. Und auch im weniger volatilen Dreimonatsvergleich ergibt sich ein Minus von 1,9% für das dritte Quartal.
Schlüsselindustrien uneinheitlich
Der Rückgang war breit basiert. Den stärksten Effekt hatte wie schon in den vergangenen Monaten die Produktion in der Automobilindustrie. Diese fiel im September um 7,8% im Monatsvergleich, nachdem sie im August noch 15,4% zugelegt hatte. Einen negativen Impuls hatte auch der Produktionsrückgang in der chemischen Industrie (−4,3%), der zudem maßgeblich für das Fertigungsminus der energieintensiven Industriezweige von 3,3% war. Im gewichtigen Maschinenbau hingegen ergab sich ein Plus von 1,7%. Die Industrie im engeren Sinne drosselte die Produktion um 2,7%. Außerhalb der Industrie gab die Energieerzeugung um 2,1% nach, die Bauproduktion fiel um 1,4% zum Vormonat zurück.
Bodenbildung zum Jahreswechsel erwartet
„Die Industriekonjunktur stellt sich angesichts der anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten und der rückläufigen Auftragslage bis zuletzt noch sehr schwach dar“, kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium. Die zuletzt positive Entwicklung der Auftragseingänge (+4,2%) insbesondere aus dem Ausland sowie die jüngste Verbesserung der Stimmungsindikatoren von Ifo und S&P Global sprächen für eine Bodenbildung bei der Industriekonjunktur zum Jahreswechsel 2024/25.
„Der Rückgang der Industrieproduktion und der Exporte sind in Anbetracht des Sieges von Donald Trump eine Mahnung“, sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Mehr US-Protektionismus heiße für das industrielastige Deutschland nichts Gutes. „Eine neue Bundesregierung nach den voraussichtlichen Neuwahlen im März tut gut daran, neue Handelsabkommen abzuschließen und den Industriestandort zu stärken“, mahnte er mit Blick auf das Ampel-Aus.
Außenhandelsbilanz engt sich ein
Im September sanken die deutschen Exporte preis-, kalender- und saisonbereinigt um 1,7% auf 128,2 Mrd. Euro. Nachdem die Importe um 2,1% auf einen Warenwert von 111,3 Mrd. Euro stärker stiegen, fiel der Überschuss der Außenhandelsbilanz auf 17,0 Mrd. Euro von 18,6 Mrd. Euro im Vormonat. Dabei blieben die USA die wichtigste Exportdestination − hier ging es um 4,8% auf 14,2 Mrd. Euro nach oben. Die Exporte nach China fielen um 3,7%, nach Großbritannien wurde 4,9% weniger exportiert.
„Die unterschiedliche Entwicklung spiegelt auch das Wachstum in den beiden Ländern wider“, erklärt dies Gitzel von der VP Bank: „Während die US-amerikanische Wirtschaft robust expandiert, ist es um die chinesische Konjunktur nicht gut bestellt.“
„Durststrecke setzt sich fort“
Besserung ist so schnell nicht in Sicht. Zuletzt hatte sich die vom Ifo gemessene Stimmung der Exporteure fünf Monate in Folge eingetrübt. „Die Unternehmen profitieren gegenwärtig nicht von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern“, sagte Ifo-Umfragechef Klaus Wohlrabe. „Die Durststrecke der Exportwirtschaft setzt sich somit weiter fort.“
„Die Transmission zwischen guter oder halbwegs guter Auslandskonjunktur und dadurch guten Geschäften unserer Exportunternehmen, was wiederum die Konjunktur in Deutschland anschiebt, funktioniert immer weniger“, hatte auch DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben schon bei der Vorstellung der Konjunkturumfrage im Herbst unter rund 25.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen Deutschlands gemahnt. LBBW-Volkswirt Jens-Oliver Niklasch ist ebenfalls skeptisch angesichts der in den Monaten anstehenden Weichenstellungen in der Wirtschaftspolitik − in den USA, aber auch hierzulande. „Man muss hoffen, dass die Konjunktur nicht endgültig entgleist, aber die Gefahr einer Dauerrezession ist groß.“
„Gift für die schwächelnde Exportwirtschaft“
Die Misere droht sich nun zu verschärfen, sollte Trump tatsächlich wie angekündigt Zölle von 10% oder 20% auf alle Importe aus Ländern der EU verhängen. Etwa 10% der deutschen Exporte gehen in die weltweit größte Volkswirtschaft, die USA sind damit Hauptabnehmer von Waren „Made in Germany“. „Die angekündigten protektionistischen Maßnahmen sind Gift für die schwächelnde Exportwirtschaft“, mahnte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Laut dem AHK World Business Outlook würden 21% der deutschen Unternehmen in den USA steigende Handelsbarrieren befürchten und 33% rechneten mit Störungen in den Lieferketten. Die internationalen Handelsbeziehungen würden dadurch zunehmend belastet und damit die globalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter verkompliziert. „Umso entscheidender ist es, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland möglichst bald seine Wettbewerbsfähigkeit auch für industrielle Wertschöpfung wiedererlangt“, betonte Treier.
24 ereignisreiche Stunden
Da sich in den vergangenen 24 Stunden sowohl die kurz- als auch die langfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft verdüstert haben, erwartet ING-Chefökonom Carsten Brzeski eine technische Rezession im Winterhalbjahr. Vor allem die US-Zölle auf europäische Autos dürften die deutsche Automobilindustrie in größere Schwierigkeiten bringen. „Nach dem Winter werden die deutschen Wachstumsaussichten stark von der Fähigkeit einer neuen Regierung abhängen, die Binnenwirtschaft inmitten eines potenziellen Handelskriegs und einer noch stärkeren Industriepolitik in den USA zu stärken“, sagte er angesichts des Wahlsiegs von Trump sowie dem Ende der Ampelkoalition.