IWF plädiert für Lockerung der Schuldenbremse
IWF plädiert für Adjustierung der Schuldenbremse
Artikel-IV-Bericht: Längerfristig maue Wachstumsaussichten für Deutschland – Demografische Entwicklung bremst
ahe Berlin
Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt die Konjunkturentwicklung in Deutschland in diesem Jahr pessimistischer ein als die Bundesregierung und die EU-Kommission. Und auch langfristig sind die Erwartungen des IWF an das deutsche Wirtschaftswachstum äußerst verhalten. In ihrem vorläufigen Artikel-IV-Bericht, den der zuständige Missionschef Kevin Fletcher am Dienstag in Berlin vorstellte, geht der Währungsfonds für 2023 lediglich von einer Stagnation aus, während die Bundesregierung ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,4% und die EU-Kommission in ihrer Frühjahrsprognose in dieser Woche immerhin noch ein Plus von 0,2% geschätzt hatte.
Von 2024 bis 2026 wird die deutsche Wirtschaft laut IWF dann zwar um jeweils 1% bis 2% zulegen. Langfristig werde das durchschnittliche Wachstum aber wieder unter 1% liegen, was unter anderem an der demografischen Entwicklung liegt: Deutschland werde sich „auf eine neue Normalität einstellen müssen“, die mit einer alternden Bevölkerung, Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels und den erhöhten Risiken einer geoökonomischen Fragmentierung einhergehe, hieß es in dem Bericht.
Für dieses Jahr sieht der IWF eine Teuerungsrate in Deutschland von etwa 4,5%. Die Kerninflation ohne Energie- und Lebensmittelpreise werde aber wahrscheinlich später und langsamer zurückgehen, sagte Fletcher, der daher 2023 auch eine straffere Finanzpolitik in Berlin begrüßt. Dies dürfte nach Einschätzung des IWF auch dadurch unterstützt werden, dass die Ausgaben für die Gas- und Strombremse aufgrund der sinkenden Energiepreise wohl niedriger ausfallen als geplant. Die deutschen Entlastungsmaßnahmen im Energiebereich hält der IWF im Allgemeinen für gut konzipiert, plädierte zugleich aber dafür, diese zielgerichteter auf Bedürftige auszurichten. Die Bundesregierung sollte laut Artikel-IV-Bericht daher in Erwägung ziehen, die Kosten der Energiehilfen durch „vorübergehende Solidaritätssteuern“ für Haushalte mit höherem Einkommen oder durch eine stärkere Rückforderung der Hilfen teilweise auszugleichen. Auch sollten die Gas- und Strompreisbremsen wie geplant spätestens im nächsten April auslaufen, um die Anpassung an die strukturell höheren Preise für fossile Brennstoffe zu erleichtern, hieß es.
Fletcher sagte in Berlin, dass Deutschland mittelfristig möglicherweise einen größeren fiskalischen Spielraum für Zukunftsinvestitionen benötige, und verwies zum einen auf die anstehende grüne Transformation und die Digitalisierung und zugleich auf die geplanten Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Dieser zusätzliche Spielraum können durch Ausgabenreformen oder zusätzliche Einnahmen geschaffen werden, etwa im Bereich der Grundsteuer oder durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen. Es könne aber auch die Schuldenbremse angepasst werden.
Der IWF plädierte in diesem Zusammenhang dafür, die Verwendung von Sondervermögen und andere weniger transparente außerbudgetäre Mittel zu begrenzen und stattdessen die jährliche Defizitgrenze etwas anzuheben, eventuell um 1 Prozentpunkt des BIP. Dies werde die Schuldenregeln angesichts des erheblichen mittelfristigen Ausgabenbedarfs „realistischer“ machen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Staatsverschuldung weiter unter die 60-%-Marke sinke.
Spielraum durch neue EU-Regeln?
In dem Bericht wird darauf verwiesen, dass die Sonderhaushalte auf das gesamtstaatliche Defizit angerechnet würden. Sie schwächten die Verbindung zwischen der Schuldenbremse und der Schuldendynamik sowie den EU-Budgetregeln.
Anpassungen bei der Schuldenbremse sollten nach den Worten von Fletcher aber erst nach einer Einigung auf neue EU-Haushaltsregeln in Angriff genommen werden, über die derzeit gerungen wird. Diese Reform könne ebenfalls mehr finanzpolitische Spielräume bringen.