Regulierung

Keine Mehrheit für EU-Lieferkettengesetz

Jetzt nicht – und sehr wahrscheinlich auch in den nächsten Wochen nicht: Die umstrittene EU-Lieferketten-Richtlinie ist im Rat durchgefallen. Die Reaktionen reichen von "guter Nachricht" bis "Desaster".

Keine Mehrheit für EU-Lieferkettengesetz

Keine Mehrheit für EU-Gesetz

Lieferketten-Richtlinie scheitert vorerst im Rat – Industrie spricht von "guter Nachricht"

Das umstrittene EU-Lieferkettengesetz kommt bis auf Weiteres nicht. Obwohl es im Dezember bereits eine Verständigung zwischen Unterhändlern von Rat und EU-Parlament für einen Kompromiss gab, fand dieser nun keine Mehrheit bei den nationalen Regierungen. Diplomaten rechnen nicht mit einer schnellen Lösung.

fed/Reuters Frankfurt

Dem belgischen EU-Ratsvorsitz ist es trotz intensiver bilateraler Verhandlungen mit Vertretern der nationalen Regierungen nicht gelungen, eine qualifizierte Mehrheit (15 Länder, die mindestens 65% der Bevölkerung repräsentieren) für die umstrittene EU-Lieferketten-Richtlinie zu organisieren. Unterhändler aus Rat und Parlament hatten sich zwar im Dezember auf einen Kompromiss verständigt. Aber anschließend äußerten die Bundesminister Christian Lindner und Marco Buschmann Vorbehalte und lösten damit eine neue Debatte über das Gesetz aus. Den Vorbehalten schlossen sich zunächst andere Staaten wie Italien, Bulgarien und Malta an. Nach Angaben von Diplomaten verließ, nachdem die Debatte nun wieder voll entbrannt war, zuletzt eine große Gruppe von Staaten das Lager der klaren Befürworter. Dem "Ja-Lager" wurden am Mittwoch nur noch die Niederlande, Irland, Spanien, Portugal und einige wenige andere Staaten zugerechnet.

Zügige Einigung unrealistisch

Diplomaten in Brüssel halten es für äußerst unwahrscheinlich, dass es in den nächsten zwei Wochen noch gelingen könnte, eine Mehrheit herzustellen. Deshalb wird das EU-Lieferkettengesetz in dieser Legislaturperiode des EU-Parlaments wohl nicht mehr beschlossen werden können. Denn dafür wäre eine Ratseinigung binnen zwei Wochen nötig.

Auch die Bundesregierung erklärte, erst nach der Europawahl einen neuen Anlauf zur Verabschiedung unternehmen zu wollen. Ihm fehle die Fantasie, wie ein neuer Vorstoß noch vor der Europawahl am 9. Juni gelingen solle, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Danach müsse sich erst einmal eine neue EU-Kommission bilden. Erfahrungsgemäß dauert dies Monate. "Die gute Nachricht ist: Es gibt ein Lieferkettengesetz für Deutschland, für deutsche Unternehmen", fügte der Regierungssprecher mit Blick auf das deutsche Gesetz hinzu.

Thomas Voland, Partner und Regulierungsexperte der Kanzlei Clifford Chance, erinnert daran, dass unabhängig von der abgelehnten EU-Richtlinie auch auf EU-Ebene Sorgfaltsanforderungen zu beachten seien. "So müssen zahlreiche Unternehmen bis Ende des Jahres die Anforderungen der EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten erfüllen", erläutert Voland. Daneben seien "auch im Batteriesektor besondere Sorgfaltsanforderungen bei der Beschaffung von Rohstoffen zu beachten." Es müsse nun abgewartet werden, ob das vorläufige Scheitern der EU-Lieferketten-Richtlinie "letztlich zu einer weiteren Zersplitterung der Rechtslage in den EU-Mitgliedstaaten führt, wenn andere Länder dem Vorbild der Bundesrepublik folgen und ihre eigenen Lieferkettenregelungen erlassen", merkt Voland an.

Die Industrie begrüßte das Scheitern auf europäischer Ebene. "Wir teilen als Wirtschaft (zwar) die Ziele des EU-Lieferkettengesetzes", teilte DIHK-Präsident Peter Adrian mit. "Der vorliegende Entwurf hätte allerdings das Erreichen dieser Ziele nicht erleichtert, sondern erschwert." Denn europäische Unternehmen hätten sich aus einigen Gegenden der Welt aufgrund unbeherrschbarer Risiken zurückziehen müssen. Die EU sollte die Richtlinie in dieser Form nicht mehr weiterverfolgen, forderte der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). "Der deutsche Mittelstand ertrinkt auch ohne zusätzliche Belastungen aus Brüssel in Berichtspflichten und einer Flut von Fragebögen", sagte der Präsident der Lobby, Dirk Jandura. Ähnlich sehen das die Familienunternehmer. "Ich bin sehr erleichtert, dass nun der Weg frei ist, um eine praktikablere und effektivere Regulierung zu erarbeiten", sagte Präsidentin Christine Ostermann.

Kritik von Umweltverbänden

Die Gewerkschaft Verdi und die Naturschutzvereinigung BUND bedauerten dagegen das Scheitern. "Es ist ein europapolitisches Desaster, dass die FDP das EU-Lieferkettengesetz auf den letzten Metern verhindert hat. Noch im Dezember hat die Bundesregierung Zustimmung signalisiert, der Verhandlungsprozess war abgeschlossen", erinnerte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Die Entwicklungsorganisation Misereor sprach von einer "moralischen Bankrotterklärung". In der Richtlinie sollten Unternehmen verpflichtet werden, etwa die Einhaltung von Menschenrechten auch bei ihren Lieferanten sicherzustellen. Angewendet werden sollten die Vorgaben auf EU-Firmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Konzernumsatz von mehr als 150 Mill. Euro. Im deutschen Gesetz liegt die Grenze bei 1.000 Beschäftigen. Bei Verstößen sollen bei dem EU-Projekt Strafen von bis zu 5% des weltweiten Umsatzes fällig werden.

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