KI-Kapitalismus provoziert nächste Finanzkrise
KI-Kapitalismus provoziert nächste Finanzkrise
KI-Kapitalismus provoziert nächste Finanzkrise
Selbstreferenzielle und gleichgerichtete Finanzierungen lassen Alarmglocken schrillen – Große Verflechtungen zwischen KI, Krypto, Banken und Hedgefonds
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Die Parallelen zur Dotcom-Krise sind unverkennbar. Noch ist unklar, ob es im Hinblick auf die sich weiter aufpumpende KI-Blase nur bei einem Aktiencrash bleibt. Oder ob dadurch das ganze Finanzsystem in Mitleidenschaft gezogen wird wegen der enormen finanziellen und institutionellen Verflechtungen.
Die Bruchstellen, die zu einer neuen Finanzkrise führen können, gewinnen langsam an Kontur. „Die Investitionen in einem hyperkapitalistischen Umfeld laufen auf Hochtouren“, warnt Jacques-Aurélien Marcireau, Portfoliomanager für Big-Data-Strategie bei Edmond de Rothschild. In einer Präsentation verweist er auf „die Billionen, die für Rechenzentren und Rechenleistungen ausgegeben werden im Zuge der KI-Investitionen“. Das könne sich als massive Verschwendung erweisen, wenn die KI-Wette nicht aufgehe oder Anleger wegen ausbleibender Erfolgsmeldungen kalte Füße bekämen. Und Hilary J. Allen, die an der American University Banken- und Finanzrecht lehrt, warnt vor der immer engeren Verflechtung aller Finanzakteure im Bereich der Technologiefinanzierung – und sieht darin durchaus Ähnlichkeiten mit den Strukturen vor der Weltfinanzkrise 2007/2009.
Rothschild-Experte Marcireau verweist auf den bislang ausbleibenden echten Durchbruch bei KI. Denn darauf würden „letztlich alle hin investieren“. Die Fortschritte seien dagegen eher zaghaft, die erhofften Effizienzgewinne seien abstrakt zwar enorm, hätten sich aber bisher nur an wenigen Stellen auch materialisiert. Zudem hätten die Investitionen eine Art Selbstreferentialität erreicht, weil sich die großen Tech-Konzerne gegenseitig aneinander beteiligen und Projekte finanzierten. Er verspürt überdies ein „beispielloses Maß an Selbstzufriedenheit“ in der Branche, die in ihrer Euphorie auf Bedenken kaum eingehe. Dabei seien die großen Marketingversprechungen bisher noch nicht eingetreten.
Kritisches Denken aufgegeben
Mit dem jüngsten OpenAI/Oracle-Deal habe „der Markt das kritische Denken sogar ganz aufgegeben“, echauffiert er sich. OpenAI hatte vor wenigen Wochen einen Vertrag über 300 Mrd. Dollar mit Oracle für den Bezug von Rechenleistung abgeschlossen.
Marcireau verweist ferner auf die vielen anderen Insichgeschäfte der Branche, wenn etwa Nvidia in Unternehmen investiert und damit eigentlich den Konsum der eigenen Dienstleistungen oder Waren finanziert. Der Druck der KI-Anbieter auf andere sei enorm, hier keine Chance zu verpassen. Der Rothschild-Manager sieht Parallelen zum Dotcom-Crash Anfang des Jahrtausends. Die Spekulationsblase am Aktienmarkt sei damals geplatzt, weil sich die hohen Erwartungen nicht wie versprochen erfüllt hätten.

Auf der amerikanischen Seite, schildert der Rothschild-Experte, bestimmten die KI-Konzerne die Tonlage, träumten von einer Tech-Republik und erhöhten den Druck auf die Unternehmen, jetzt schnell zu handeln und einzusteigen. Alsbald werde KI jeden Menschen übertrumpfen und gleichzeitig für Überfluss und Fortschritt sorgen. Auf der europäischen Seite werde dagegen darauf verwiesen, dass KI alleine nicht so effizient sei, wie dargestellt. Viele Teams, die stark auf Automatisierung gesetzt haben, hätten nun wieder Menschen in Schlüsselpositionen gesetzt. Ist KI für den Massenmarkt nur gut für Videoschnitt, Spam und Texten?
Bereinigung nach der Krise
Bleibt es zunächst bei einem begrenzten Kursrutsch, sieht Marcireau für die Volkswirtschaft insgesamt eher positive Auswirkungen. Denn der Markt werde dann realistischer bewertet – und auch die KI. Die großen Akteure werden seiner Ansicht einen Crash zwar recht unbeschadet überstehen, weil sie auch andere Geschäfte hätten, ihre Rolle aber werde geschmälert. Die größten Einbußen erwartet er bei Unternehmen und Banken, die am Bau von Rechenzentren oder unmittelbar an der Finanzierung beteiligt seien.
Aber die Technik wird bleiben und sich fortentwickeln, sagt er. Und wie nach der Dotcom-Blase werde es Überraschungen geben, wer letztlich von der Konsolidierung und dem Neustart profitiert. Auch damals hätten nicht wie eigentlich erwartet die Telekoms zu den Gewinnern gezählt, sondern Videoportale wie Netflix und Social Media-Konzerne.
Zu den „Gewinnern“ zählt er auch die Konsumenten, weil KI weiterhin immer besser und günstiger werde. Hinzu kämen aber all jene Akteure, die selbst über große Datensätze verfügten wie Forschungseinrichtungen, Versicherungen und die Pharmaindustrie. Auf diesen abgeschotteten Bereich könnten sie die Grundmodelle von KI ansetzen – ohne die bisherigen großen Akteure, die bisher daran scheiterten, in diesem Bereich vorzudringen, der tatsächlich hohe Renditen und Produktivität verspricht. Neu zu den Gewinnern stoßen Marcireau zufolge ferner „Anbieter von vertikaler Software“. Das sind Programme, die mittels KI ganzheitliche Lösungen etwa für Branchen anbieten könnten, was vorher nicht möglich gewesen sei. Hierzu zählt er etwa die Restaurantsoftware Toast.
Vom Crash zur Finanzkrise?
Aber bleibt es tatsächlich bei einem Aktiencrash mit begrenzten Auswirkungen? Ökonomen rechnen angesichts der inzwischen erreichten Dimension des Finanzierungsmarktes mit erheblich dramatischeren Folgen. Die Anzeichen für eine ausgewachsene Finanzkrise werden immer deutlicher, schreibt etwa der US-Ökonom Noah Smith. Schließlich würden Banken den KI-Kreditboom bei Rechenzentren über Fonds finanzieren, die wiederum gigantische Summen für den Bau von Rechenzentren verleihen. Angesichts der eher laxen Regulierung treffe es sie dann umso härter.
Hedgefonds im Fokus
J.P. Morgan geht noch weiter und sieht in noch viel größerem Ausmaß weite Teile des Nichtbankensektors betroffen. Wenn die Kurse der KI-Konzerne einbrechen, könnten hochverschuldete Hedgefonds zu Notverkäufen gezwungen sein, um Margin Calls zu erfüllen oder Bankkredite zurückzuzahlen, heißt es warnend in einer Analystennotiz. Der US-Notenbank zufolge hat die Verschuldung von Hedgefonds schon 2024 ein „historisches Hoch“ erreicht. Und 2025 soll dieses Niveau noch um 25% zugelegt haben, wird aus dem Marktumfeld berichtet.
US-Ökonomin Allen verweist zudem auf die institutionelle und thematische Verflechtung von Künstlicher Intelligenz und Krypto. Beide Sektoren seien durch „die gleichen Narrative über neue Technologien aufgebläht, die alte Paradigmen zerstören“. Allen: „Wenn während eines Marktcrashs die Grenzen der KI in das öffentliche Bewusstsein dringen, könnte eine pessimistischere Stimmung gegenüber Technologieaktive auch den Krypto-Hype untergraben“. Sie warnt vor einem „Crash von Ponzi-ähnlichen Krypto-Assets und eine Abkehr von Stablecoins“, die dann wiederum ihre Sicherheiten einbringen müssten.
Pulverfass
Hinzu kommt Allen zufolge die große Verflechtung und enorme Hebelwirkung innerhalb des jeweiligen KI- und Kryptosystems sowie untereinander. Hinzu komme eine starke Korrelation der Vermögenspreisbewegungen. Dies ähnelt ihr zufolge einem „Pulverfass, das explodiert, sobald der erste Funke darauf fällt“.
Die volkswirtschaftlichen Folgen wären fatal, wie man von der vergangenen Finanzkrise her weiß. Wieder müssten Banken gerettet, Finanzsysteme stabilisiert werden, würde das Wachstum in den Keller rauschen und sich Ansteckungseffekte auf andere Märkte und Regionen ausbreiten. Die Politik wäre gefordert, Rettungspakete müssten geschnürt werden. Und das in einem Umfeld noch höherer Staatsverschuldung, dem die Marktakteure immer kritischer gegenüberstehen; einer Weltwirtschaft, die weniger auf Koordination und Zusammenarbeit setzt als noch vor kurzer Zeit, weil US-Präsident Donald Trump die internationalen Gremien ausgehebelt hat; und in einer Phase, da die US-Notenbank selber unter Druck steht seitens der Politik, ihre Unabhängigkeit gefährdet und neue Notenbanker weniger den Weltfinanzmarkt vor Augen haben, sondern nur das Wohl der eigenen Wirtschaft im Sinn haben. Wie soll unter diesen Umständen Finanzkrisenpolitik funktionieren?
Europa fühlt sich angesichts stärkerer Regulierung und hoher Eigenkapitalstandards im Bankensystem aktuell noch sicher. Vor dem Hintergrund des bisherigen KI-Rückstands käme ein KI-Crash, der weitgehend auf die USA begrenzt werden könnte, womöglich sogar sehr gelegen. Damit würde ein europäischer KI-Neustart leichter gelingen. Zumal auf der Basis der beschriebenen Paradigmen, wonach eher die eigenen Daten das Asset im KI-Boom darstellen und nicht die allgemeinen Large-Language-Modelle selber. Doch steht gleichwohl die Frage im Raum: Wie tief stecken die heimischen Banken und Fonds eigentlich in der KI- und Kryptoblase jenseits des Atlantik drin? Die Finanzkrise damals war ja auch für manche Überraschung gut.