OECD Bildungsreport

Kluft bei Bildungsabschlüssen in Deutschland „besorgniserregend“

Obwohl immer mehr Menschen in Deutschland einen Hochschulabschluss haben, wächst auch die Zahl derjenigen ohne Schulabschluss. Bildung hängt zu stark vom Elternhaus ab.

Kluft bei Bildungsabschlüssen in Deutschland „besorgniserregend“

In Deutschland wächst die Kluft der Bildungsabschlüsse bei jungen Menschen. Die sozialen Unterschiede beim Bildungserfolg sind im internationalen Vergleich sehr hoch und hängen stark von der Herkunft ab, wie aus einem am Dienstag veröffentlichten Bericht der Industriestaatengruppe OECD hervorgeht. Dies sei „besonders besorgniserregend“, erklärte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Demnach gibt es zwar immer mehr 25- bis 34-Jährige mit Hochschul- oder Meisterabschlüssen – mit 40% 7 Prozentpunkte mehr als 2019. Gleichzeitig erhöhte sich aber der Anteil der jungen Erwachsenen ohne Abschluss im sogenannten Sekundarbereich II – also Menschen ohne (Fach-)Hochschulreife und Berufsausbildung – von 13 auf 15%. Unter den 22 EU-Mitgliedsländern im OECD-Raum gibt es dem Bericht „Education at a Glance 2025“ zufolge hier nur in Italien, Portugal und Spanien einen höheren Wert.

Elternhaus entscheidend

Der Bericht zeige, dass Deutschland ein Gerechtigkeitsproblem habe, sagte die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katharina Dröge. Das Elternhaus entscheide immer noch über Bildungschancen. Dröge forderte erneut eine Reform der Erbschaftssteuer, um mehr in die Zukunft von Kindern investieren zu können: „Es ist nicht gerecht, dass man in diesem Land 300 Wohnungen erben kann, ohne einen Cent Erbschaftsteuer zu zahlen.“

Soziale Herkunft spielt laut OECD eine zentrale Rolle bei Bildungsabschlüssen: Nur ein Fünftel der jungen Erwachsenen aus bildungsfernen Haushalten erreicht einen Hochschul- oder Meisterabschluss, bei Akademikern sind es rund 60% – und das, obwohl Deutschland im internationalen Vergleich niedrige Studiengebühren hat. Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) sprach sich dafür aus, BAföG-Sätze zu erhöhen und für junge Menschen attraktiver zu machen: „Es ist wichtig, dass das nicht als Makel angesehen wird, sondern es muss eine Leistung sein, dass das noch mehr junge Menschen in Anspruch nehmen.“

Viele MINT-Absolventen in Deutschland

Ein Hochschulabschluss bringt in Deutschland vor allem finanzielle Vorteile: Akademiker verdienen im Schnitt 50% mehr als Personen mit Sekundarabschluss. Die Arbeitslosenquote unterscheidet sich hingegen kaum zwischen den Gruppen. Besonders lukrativ sind Abschlüsse in Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), deren Absolventen rund 10% mehr verdienen. Bär bezeichnete es als ermutigend, dass in keinem anderen Land ein höherer Anteil der Absolventen im Tertiärbereich einen Abschluss in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik mache. Dennoch müssten die Berufe weiter für Frauen attraktiver werden.

Besonders groß sind die Kompetenzunterschiede zwischen Bildungsgruppen: In Deutschland sind die Differenzen bei Lese- und Rechenfähigkeiten zwischen Hochschulabsolventen und Personen ohne Sekundarabschluss laut OECD die höchsten im internationalen Vergleich. „Wir haben noch zu viele geringqualifizierte Menschen und Defizite bei den Grundkompetenzen“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium, Mareike Wulf. „Die vielen jungen Menschen ohne beruflichen Abschluss sind ein Risiko, sowohl für die ökonomische Leistungsfähigkeit unseres Landes als auch für den sozialen Zusammenhalt.“

Die Berliner Bildungs-Senatorin Katharina Günther-Wünsch pochte deshalb auf frühkindliche Bildung: Ähnlich wie in Dänemark sollten Länder standardisierte Sprachtests für Vorschulkinder einführen. „Die Grundschule ist zu spät“, sagte Günther-Wünsch. „Wir müssen den Fokus darauf legen, dass die Kinder, bevor sie in die Schule kommen, einen guten Start in ihrer Bildungslaufbahn haben.“

Investitionen unter dem OECD-Schnitt

Deutschland investiert pro Schüler überdurchschnittlich viel in Bildung – rund 17.960 Dollar (15.292 Euro) jährlich. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt die Bildungsquote mit 4,4% aber unterm OECD-Schnitt. Die Gehälter von Lehrkräften bleiben hinter denen anderer akademisch gebildeter Gruppen zurück, was laut OECD die Attraktivität des Berufs bremsen könnte.

Für die gesamten OECD-Länder bedeutet ein Anteil von 48% junger Erwachsener mit einem sogenannten tertiären Bildungsabschluss ein Rekord – gegenüber nur 27% im Jahr 2000. Dieser Abschluss ermögliche meist höheres Einkommen, stabilere Beschäftigung und bessere Gesundheit, erklärte die Organisation. „Eine qualitativ hochwertige Hochschulbildung vermittelt den Studierenden die nötigen Kompetenzen, um die Chancen der im Wandel begriffenen Arbeitsmärkte zu nutzen“, sagte OECD-Generalsekretär Mathias Cormann.