NOTIERT IN MADRID

Kulturwandel im Ibex

Der Verzicht von César Alierta, der 16 Jahre lang an der Spitze von Telefónica gestanden hatte, auf ein weiteres Mandat als Mitglied des Aufsichtsrats kam vergangene Woche ein wenig überraschend. In Madrid hatten die wenigsten damit gerechnet, dass...

Kulturwandel im Ibex

Der Verzicht von César Alierta, der 16 Jahre lang an der Spitze von Telefónica gestanden hatte, auf ein weiteres Mandat als Mitglied des Aufsichtsrats kam vergangene Woche ein wenig überraschend. In Madrid hatten die wenigsten damit gerechnet, dass sich der 71-Jährige schon ein Jahr nach seinem Rücktritt als Vorsitzender des Konzerns fast ganz ins Privatleben verabschieden würde – er wird lediglich weiterhin die Stiftung von Telefónica leiten. Mit dem einst einflussreichen Strippenzieher ist eine weitere prägende Persönlichkeit der spanischen Wirtschaft von der großen Bühne verschwunden.Neben einigen Industrie- und Baukonzernen gab es in letzter Zeit Wechsel an der Spitze von Santander, wo Ana Botín 2014 den Vorsitz von ihrem verstorbenen Vater Emilio übernahm, und im Februar dann das Ende des langjährigen Chefs von Banco Popular, Angel Ron. Von den sieben Banken, die dem Schwergewichtsindex Ibex 35 angehören, werden nunmehr lediglich BBVA (Francisco González) und Banco Sabadell (Josep Oliu) von denselben Vorsitzenden geführt, die schon zu den Zeiten des Immobilienbooms am Steuer waren. González ist seit dem Abtritt Aliertas der letzte Vertreter jener Managerriege, die im Zuge der Privatisierungen unter der früheren konservativen Regierung von José María Aznar Ende des Jahrtausends zu ihren heutigen Posten gelangt war.Vor allem der ehemalige Telefónica-Chef Alierta gilt als Aushängeschild für ein System der Verflechtungen zwischen Politik und Großkonzernen, das in den vergangenen Wochen in Spanien durch neue Enthüllungen wieder Schlagzeilen gemacht hat. In diesem Zusammenhang wird die Beziehung zwischen Alierta und dem früheren Wirtschaftsminister und Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Rodrigo Rato, beleuchtet. Rato wurde im Februar zu sechs Jahren Haft verurteilt wegen Veruntreuung und anderer Missbräuche während seiner Zeit als Vorsitzender der ehemaligen Sparkasse Bankia. Er wartet nun auf das Ergebnis der Berufung und den Ausgang anderer Verfahren. Rato hatte 1996 den Broker Alierta an die Spitze des damals staatlichen Tabakunternehmens Tabacalera befördert, bevor dieser 2000 von der konservativen Regierung zum Vorsitzenden von Telefónica gemacht wurde. Der Unternehmer zeigte sich über die Jahre dankbar und vergab zahlreiche Posten an ehemalige Minister und andere Politiker der konservativen Volkspartei, aber auch an Sozialisten. Als Rato 2012 über die Krise bei Bankia stürzte, die eine staatliche Intervention und letztlich den internationalen Rettungsschirm auslöste, zeigte sich der Konzernchef erneut großzügig gegenüber seinem einstigen Gönner und gab dem Ex-IWF-Direktor einen Posten als Berater.Zudem vergab Telefónica Aufträge an eine von Ratos Firmen, weshalb das Unternehmen auch in den Ermittlungen über den vermeintlichen Betrug und massive Steuerhinterziehung Ratos vor Gericht aussagen musste. Die beiden verbinden auch gemeinsame Investitionen in ein Hotel in Berlin. Nachdem 2014 der Skandal um die sogenannten “schwarzen Kreditkarten” bei Bankia ausgebrochen war, trennte sich Ana Botín, kurz nach der Übernahme des Kommandos bei Santander, von Rato, der die Bank ebenfalls in ihren internationalen Geschäften beraten hatte. Alierta aber hielt trotz aller öffentlichen Kritik an dem früheren Politiker fest, und es war Rato, der schließlich von sich aus zurücktrat. Wie Botín hat auch Aliertas Nachfolger bei Telefónica, José María Alvarez-Pallete, den Aufsichtsrat umgekrempelt und mehr unabhängige Vertreter, Ausländer und Frauen eingesetzt.Ratos Antlitz prangt nun zusammen mit anderen Unternehmern und Politikern, die in Korruptionsfälle verwickelt sind, auf einem Bus, der seit Wochen durch Madrid fährt. Es ist eine Aktion der Linkspartei Podemos, die sich derzeit darauf verlegt, die diversen Skandale politisch auszuschlachten. Ein neuer Korruptionsfall, in dem unter anderem ein früherer konservativer Ministerpräsident der Region Madrid in Untersuchungshaft gelandet ist, ist Wasser auf die Mühlen der Partei von Pablo Iglesias. Podemos nutzt den neuerlichen Fall und die laufenden Ermittlungen über Ratos Geschäfte, um Regierungschef Mariano Rajoy und die Konservativen anzugehen. Ein angestrebtes Misstrauensvotum gegen Rajoy dürfte aber wenig Chancen auf Erfolg haben.