Geldpolitik

Lagarde greift EZB-Sitzungen vor

Derzeit gibt es fast täglich Wortmeldungen führender Euro-Notenbanker zum Kurs der EZB. Nun hat EZB-Chefin Lagarde Position bezogen – in Form wie Inhalt ungewöhnlich. Das wird nicht jedem im EZB-Rat schmecken.

Lagarde greift EZB-Sitzungen vor

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Die Debatte über die Zinswende in Euroland hat zuletzt immer stärker Fahrt aufgenommen – wobei es in den vergangenen Tagen die Hardliner im EZB-Rat, die „Falken“, waren, die die Schlagzeilen beherrschten. So brachte der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot als Erster für die Sitzung im Juli eine erste Zinserhöhung gleich um 50 statt 25 Basispunkte ins Spiel. Und Bundesbankchef Joachim Nagel plädierte Ende vergangener Woche dafür, dass einer ersten Zinserhöhung im Juli weitere Schritte „zeitnah“ folgen könnten.

Nagel äußerte sich nach dem Treffen der G7-Finanzminister und -Notenbankchefs am Freitag in Königswinter, und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der da neben Nagel saß, begrüßte diese Ankündigung explizit – was in der Form auch nicht alle Tage vorkommt. Bei dem G7-Treffen hatten die Fi­nanzminister und Notenbankchefs der weltweit zu hohen Inflation den entschlossenen Kampf angesagt. An­wesend in Königswinter auch: EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

Lagarde ihrerseits veröffentlichte nun am Montagmorgen einen Blog-Beitrag auf der Internetseite der Europäischen Zentralbank (EZB), in dem sie sich über die weitere „geldpolitische Normalisierung“ im Euroraum auslässt. Das Format und die Klarheit der Aussagen sind absolut ungewöhnlich. Das dürfte auch der Versuch sein, die Debatte wieder mehr von der Spitze aus zu gestalten und zu lenken statt von Wortmeldungen der Ratskollegen getrieben zu sein. Das wird aber ganz sicher nicht jedem im Rat schmecken – weder vom Inhalt noch von der Form her.

Lagarde zementiert nämlich zwar ei­nerseits die Erwartung an eine rasche Zinswende und primär ein schnelles Ende der Negativzinspolitik. Der EZB-Einlagenzins liegt aktuell bei −0,5 %, der Leitzins bei 0 %. Andererseits tritt Lagarde aber auch auf die Bremse und stellt sich ge­gen Ideen für ein aggressiveres Handeln. Zudem weckt sie ungute Erinnerungen an den kritisierten Führungsstil von Ex-EZB-Chef Mario Draghi, der zum Ende von Draghis Amtszeit zu einer beispiellosen öffentlichen Spaltung im EZB-Rat geführt hatte.

Lagarde erwartet nun laut Blog-Beitrag ein Ende der billionenschweren Nettoanleihekäufe „sehr früh“ im dritten Quartal. „Das würde uns eine Anhebung der Zinssätze auf unserer Sitzung im Juli ermöglichen.“ Und: „Ausgehend von den derzeitigen Aussichten werden wir wahrscheinlich in der Lage sein, die negativen Zinssätze bis zum Ende des dritten Quartals zu beenden.“

Es ist vor allem der Negativzins, der in Zeiten einer Rekordinflation von 7,4% unangemessen erscheint. Zuletzt hatten auch moderatere EZB-Ratsmitglieder wie der Finne Olli Rehn für ein rasches Ende des Negativzinses plädiert. Viele Euro-Notenbanker treiben vor allem die anziehenden Inflationserwartungen und die Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale um. Diese könnten die Inflation verfestigen. Zinserhöhungen sollen da auch ein Signal an die Tarifpartner sein, nicht zuletzt vor wichtigen Tarifrunden in Deutschland im Herbst. Zudem stört die Notenbanker zusehends die Euro-Schwäche, weil sie über die Importpreise die Inflation weiter antreibt. Höhere Zinsen lassen eine Währung tendenziell aufwerten.

Mit ihren Aussagen schließt Lagarde aber zugleich de facto eine Zinserhöhung um 50 Punkte im Juli aus – genau wie einen Doppelbeschluss im Juni aus Ende der Anleihekäufe und erster Zinserhöhung, der zumindest eine theoretische Option gewesen wäre. So etwas wird jenen im Rat kaum schmecken, die sich ein aggressiveres Vorgehen vorstellen können.

Zudem bremst Lagarde zumindest ein wenig, was weitere Zinserhöhungen über September hinaus angeht. Zwar sagt sie, dass es „angemessen“ sei, den Leitzins weiter in Richtung des neutralen Niveaus anzuheben, falls sich die Inflation mittelfristig bei 2 % stabilisiere. Einige EZB-Granden hatten das neutrale Niveau zuletzt auf 1% bis 2 % taxiert. Der weitere Kurs hänge aber vom Inflationsausblick ab, so Lagarde. Darüber könne nicht „ex ante“ entschieden werden.

Lagarde scheint mit ihrer Wortmeldung auch den Ansatz verteidigen zu wollen, dass jede Normalisierung „graduell“ erfolgen müsse. So mancher zweifelt aber daran, ob nicht doch mehr Tempo nötig ist, um im Kampf gegen die Inflation wieder „vor die Kurve“ zu kommen, wie es im Notenbankfachsprech heißt.

Neben dem Inhalt wird bei einigen auch die Form auf Kritik stoßen. Ex-EZB-Chef Draghi hatte immer wieder für Ärger im Rat gesorgt, weil er Entscheidungen oft im Alleingang traf, häufig wenig Wert auf Konsens legte und den Rat immer wieder mit öffentlichen Vorankündigungen un­ter Zugzwang setzte. La­garde hatte da einen anderen Stil ver­sprochen. Jetzt aber agiert sie ähnlich. Wenn der Rat jetzt etwas an­deres beschließen würde als von ihr skizziert, käme das einem Gesichtsverlust gleich. Und anders als Draghi hat Lagarde jetzt sogar gleich drei Sitzungen vorgegriffen.

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