Wiederaufbau der Ukraine

Lauter schlechte Optionen zu Russlands eingefrorenen Vermögen

Wie umgehen mit eingefrorenen Vermögen aus Russland? Der EU bleibt wohl nur eine Möglichkeit – und auch die hat Nebenwirkungen: "Zufallsgewinne" von Clearinghäusern abschöpfen.

Lauter schlechte Optionen zu Russlands eingefrorenen Vermögen

Lauter schlechte Optionen für die EU

Lösung für eingefrorene russische Vermögen nicht in Sicht – „Zufallsgewinne“ von Clearinghäusern wecken Begehrlichkeiten

Wie lassen sich die eingefrorenen Vermögen der russischen Zentralbank für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen? Nach monatelangen Beratungen liegen nun konkrete Optionen auf dem Tisch – doch alle haben Nebenwirkungen. Die wohl einzige Möglichkeit: „Zufallsgewinne“ von Clearinghäusern abschöpfen.

rec Brüssel

Vom laufenden EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs soll nach den Vorstellungen führender EU-Diplomaten ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. Hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine erweist sich das als schwierig. Nicht nur mit Blick auf übliche Querschüsse von Ungarns Premier Viktor Orbán. Auch hinter den Kulissen hakt es.

Deutlich wird das nicht zuletzt am Umgang mit den eingefrorenen Staatsvermögen Russlands. Das Thema findet in der Öffentlichkeit eher wenig Beachtung, hat es aber in sich. Das liegt nicht nur an den hohen Summen – es geht um circa 200 Mrd. Euro Vermögen der russischen Zentralbank. Sondern auch an den vielen politischen und rechtlichen Fallstricken.

Klar ist: Die Brüsseler Spitzen der Europäischen Union wollen Russland für die Zerstörungen in der Ukraine auch finanziell zur Rechenschaft ziehen. Als Aggressor sei Russland dafür verantwortlich, sagte EU-Vizekommissionchef Valdis Dombrovskis, außerdem nehme es Last von den EU-Finanzen. Estlands Premierministerin Kaja Kallas drückt es so aus: „Warum sollen unsere Steuerzahler dafür bezahlen, was Russland zerstört hat? Wir müssen Wege finden, dass Russland für den Wiederaufbau bezahlt.“

Welche das sein könnten, damit beschäftigt sich seit Februar eine Arbeitsgruppe unter Führung Schwedens. Das Land hat bis Ende Juni die EU-Ratspräsidentschaft inne. In der Woche vor dem EU-Gipfel hat Anders Ahnlid, Chef der schwedischen Außenhandelsbehörde und Leiter der Arbeitsgruppe, den EU-Botschaftern der Mitgliedstaaten seine Erkenntnisse präsentiert.

Anders Ahnlid leitet die Arbeitsgruppe

Bislang standen unterschiedliche Optionen im Raum. Die Reserven der russischen Zentralbank als solche zu beschlagnahmen und der Ukraine zur Verfügung zu stellen, scheitert am Völkerrecht. Erwogen wurde stattdessen, die eingefrorenen Reserven an den Kapitalmärkten zu investieren und die Erträge an die Ukraine zu überweisen. Wegen möglicher Verluste gilt das allerdings als heikel.

Euroclear-Gewinne sprudeln

Somit ist informierten Kreisen zufolge nur eine Option übrig geblieben, der überhaupt Chancen auf Umsetzung eingeräumt werden. Dabei geht es um Gewinne, die Unternehmen wie Euroclear und Clearstream mit eingefrorenen Vermögenswerten aus Russland machen. Die Clearinghäuser sind eigentlich normalerweise für die geordnete Abwicklung von Wertpapiergeschäften verantwortlich. Ihre Haupteinnahmequelle sind Gebühren.

Seit die Sanktionen gegen Russland in Kraft sind, hat sich das schlagartig geändert. Die Clearinghäuser befinden sich plötzlich in einer ungewohnten Situation. Denn bei ihnen sind große Teile der eingefrorenen russischen Vermögen geparkt. Die werfen regelmäßig Zinserträge ab – und treiben so die Gewinne.

Beispiel Euroclear. Das Unternehmen mit Sitz in Brüssel hat seine Erträge von 2021 auf 2022 mehr als verdoppelt. Der Nettogewinn nach Steuern schnellte auf 1,2 Mrd. Euro nach oben. Zur Hälfte verdankt Euroclear das Erträgen aus sanktionierten russischen Vermögen. Kuponzahlungen und zur Rückzahlung fällige Anleihen häufen sich weiter an. Euroclear darf sie nicht auszahlen. Die Folge: Barmittel plustern die Bilanz auf – und die Erträge steigen weiter (siehe Grafik).

In der Politik weckt das Begehrlichkeiten. Mit einer Sondersteuer könnten die EU-Staaten die „Zufallsgewinne“ abschöpfen und für den Wiederaufbau der Ukraine einsetzen. Dabei seien allerdings „viele Nebenwirkungen“ zu bedenken, bremst ein EU-Diplomat. So sollen Partner im Kreis der G7 signalisiert haben, dass sie die Abwanderung betroffener Unternehmen befürchten.

EZB interveniert

Das Thema treibt auch die Europäische Zentralbank (EZB) um. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge hat sie interveniert und in einem Brief Vorbehalte zum Ausdruck gebracht. Ihre Sorgen gelten etwa der Frage, welche Folgen ein solcher Präzedenzfall für die internationale Rolle des Euro haben könnte.

Und die Staats- und Regierungschefs? Laut Entwurf der Gipfelerklärung konnten sie sich lediglich auf eine vage Absichtserklärung verständigen. Man habe „eine Bestandsaufnahme der Arbeiten in Bezug auf die stillgelegten Vermögenswerte Russlands“ gemacht. Sie beauftragen den Rat der Mitgliedstaaten, den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und die EU-Kommission, das Vorhaben im Einklang mit internationalen Partnern rechtlich sauber voranzubringen.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dürfte das als Arbeitsauftrag verstehen. Sie hat vor einigen Tagen überraschend angekündigt, noch vor der Sommerpause einen konkreten Vorschlag zum Umgang mit den eingefrorenen Vermögen Russlands zu machen.