Thesi Kness-Bastaroli, Mailand—-Mit 32 Jahren wurde Enrico Letta zum jüngsten Minister Italiens ernannt. Mit 46 Jahren hat ihn Staatspräsident Giorgio Napolitano nun mit der Regierungsbildung betraut. Damit hat der promovierte Politikwissenschaftler aus Pisa sämtliche Tabus gebrochen. Denn die politische Führungsspitze Italiens weist im Schnitt ein Alter von 65 und mehr Jahren auf.Dem Politiker fehlt es aber keineswegs an Erfahrung. Nach einigen Lehrjahren als Assistent von Universitätsprofessor Beniamino Andreatta in Bologna begleitete Letta seinen Chef nach Rom, als dieser von Regierungschef Carlo Azeglio Ciampi zum Außenminister ernannt wurde. 1996 berief ihn Ciampi zum Generalsekretär des Euro-Komitees im Schatzministerium, 1998 wurde er Europaminister, kurz danach Industrie- und Außenhandelsminister. Als Gründungsmitglied des Partito Democratico (2007) vertrat Letta seit jeher den gemäßigten, sozialdemokratischen Flügel der Partei.”Ich werde nicht um jeden Preis eine Regierung bilden”, gab sich Letta zur Wochenmitte vorsichtig. Denn die erste Kritik kommt bereits aus seiner eigenen Partei, wo die Linksradikalen Skepsis gegenüber einer Koalition mit Silvio Berlusconis Popolo della Libertûá (PdL) zeigen. Auch diese hat bereits wissen lassen, dass sie einer schwachen Übergangsregierung nicht zustimmen werde. Für Staatspräsident Napolitano gab es keinerlei durchsetzbare Alternative: Sein Spitzenkandidat, Giuliano Amato, soll von den Linksdemokraten, der junge Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, von Berlusconi abgelehnt worden sein. Letta will spätestens bis Samstag die Regierung ernannt haben. Ihm schwebt ein “Sparkabinett” mit zwölf Ministern vor. Dieses soll von der PD, von Berlusconis PdL und Mario Montis Zentrumspartei sowie von Experten gebildet werden. Innerhalb von 100 Tagen will der neu ernannte Premier nicht nur die Wahlreform, sondern auch das Antikorruptionsgesetz verabschieden.Ein ehrgeiziges Vorhaben, bedenkt man, dass Ex-Regierungschef Berlusconi offensichtlich Neuwahlen im Visier hat. Die dritte Macht des Landes, die in der Protestbewegung M5S vereinten Anhänger des Ex-Komikers Beppe Grillo, stehen Letta skeptisch gegenüber. Denn dieser hatte vor Kurzem wissen lassen, dass es noch besser sei, für Berlusconi denn für M5S zu stimmen.Mit seinen randlosen Brillen und dem Aussehen eines Musterschülers hat “Letta Junior” schon immer als ein Mann des Kompromisses gegolten. Politik ist für ihn zudem nichts Neues. Sein Onkel Gianni, “Letta Senior”, zählt zu den wichtigsten Beratern von Ex-Premier Berlusconi. Er wird in römischen Politkreisen als Graue Eminenz, als “Richelieu”, bezeichnet. Noch heute trifft der Ex-Premier angeblich keine politische Entscheidung, ohne den Rat seines mächtigen Freundes eingeholt zu haben. Für den neuen Regierungschef kann “Onkel Gianni” zweifellos nützlich sein. Enrico Letta ist mit einer Journalistin des “Corriere della Sera”, Gianna Fregonara, verheiratet und hat drei Kinder.