Mangelnde Begeisterung
Frankreich, aber auch Europa steht vor einem Schlüsseljahr. Denn die französischen Präsidentschaftswahlen werden nicht nur darüber entscheiden, wie es mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone weitergeht. Sie werden auch die Weichen für die Zukunft Europas stellen. Angesichts des ohnehin politisch zunehmend unsicheren Umfelds nach dem Amtsantritt von Donald Trump werden Investoren genau beobachten, wie Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National abschneidet. Ihr Sieg würde einem Todesurteil für Europa in seiner jetzigen Form gleichkommen, da Le Pen einen Austritt aus der Gemeinschaftswährung und eine Abstimmung über den Verbleib Frankreichs in der Europäischen Union verspricht. Die Unsicherheit würde dadurch weiter steigen, was sich negativ auf Investitionen und den Konsum der Privathaushalte auswirken dürfte. Für dieses Jahr erwarten die Auguren ohnehin ein nicht gerade sehr starkes Plus der Wirtschaftsleistung von 1,3 %. Mit einem Sieg Le Pens würde das Wachstum wohl erneut ins Stottern geraten. Gleichzeitig dürfte das Vertrauen von Investoren in europäische Werte erneut untergraben werden, wodurch auch Nachbarländer unter Druck gerieten.Noch wähnen sich die Franzosen jedoch sicher, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten niemals für Le Pen stimmen würde, sollte die Politikerin wie von Umfragen vorhergesagt tatsächlich in die Stichwahl kommen. Doch die Erfahrungen mit dem Brexit-Votum in Großbritannien und mit den Präsidentschaftswahlen in den USA haben gelehrt, dass das Vertrauen in die Vernunft der Wählerschaft trügerisch sein kann. Auch die Vorwahlen der Konservativen in Frankreich haben gezeigt, dass nicht immer derjenige gewinnt, der als Favorit ins Rennen geht. Eine ähnliche Tendenz zeichnet sich nun bei den Vorwahlen der Linken ab. Fest steht deshalb nur, dass die Präsidentschaftswahlen Ende April oder Anfang Mai noch für die eine oder andere Überraschung sorgen dürften.Dagegen bleibt fraglich, ob der Wahlausgang dem französischen Volk das Vertrauen in die Führung des Landes zurückgeben wird und ob er für die dringend benötigte Aufbruchstimmung sorgen könnte. Bereits jetzt ist abzusehen, dass es dem Nachfolger von Präsident François Hollande nicht gelingen wird, die Franzosen hinter sich zu einen. Ein Blick auf die Präsidentschaftskandidaten und ihre Anhänger zeigt, wie tief der Graben ist, der die jeweiligen Anhänger trennt, und wie gespalten das Land ist. Auf der einen Seite stehen Figuren wie Marine Le Pen oder der Linksextremist Jean-Luc Mélenchon oder ein Benoît Hamon, die allesamt externe Faktoren wie die Europäische Union für die wirtschaftliche Schwäche des Landes verantwortlich machen. Entsprechend plädieren sie für eine nationalistischere, protektionistischere Wirtschaftspolitik sowie für die Abkehr von Reformen.Auf der anderen Seite stehen Kandidaten wie Ex-Premierminister François Fillon oder Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, die einen liberalen, reformfreudigen Kurs vertreten, wobei der eine die konservativere Ausprägung zeigt, der andere einen sozialliberalen Akzent. Selbst wenn Fillon oder Macron die Präsidentschaftswahlen gewinnen sollten, dürfte es für sie schwierig werden, dringend notwendige Reformen und den Abbau der hohen Staatsausgaben in Angriff zu nehmen. Denn dafür benötigen sie einen Wahlsieg mit einer überwältigenden Mehrheit, der sie in den Augen der Bevölkerung legitimieren würde, sich gegen den Widerstand der Gewerkschaften und der Opposition durchsetzen zu können.Bisher zumindest sieht es angesichts der gespaltenen Wählerschaft nicht nach einem solch überwältigenden Wahlsieg für einen der Kandidaten aus, auch wenn bis zum Frühjahr noch einige Zeit vergehen wird. Dabei könnte Frankreich eine neue Aufbruchstimmung dringend gebrauchen. Die jüngsten Zahlen des am Dienstag veröffentlichten Einkaufsmanagerindex des IHS-Markit-Instituts geben zwar Anlass zu Hoffnung, doch die letzte Umfrage des Statistikamts Insee zu den Investitionsvorhaben von Unternehmen deutet darauf hin, dass die Investitionen im Hexagon auch in diesem Jahr nicht abheben dürften. Dafür sind die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr mit zu vielen Unsicherheiten verbunden. Auch wenn die meisten Franzosen François Hollandes überdrüssig sind, ist es bisher keinem seiner potenziellen Nachfolger gelungen, eine Begeisterungswelle auszulösen, die Frankreich neuen Schwung verleihen würde.——–Von Gesche WüpperDem Sieger der auch für Europa entscheidenden Präsidentschaftswahlen dürfte es nicht gelingen, das Land hinter sich zu einigen.——-