Mindestlohnkommission widersetzt sich dem politischen Druck
Mindestlohn steigt weniger stark
Kommission widersetzt sich politischem Druck und peilt Marke deutlich unter 15 Euro an
Der gesetzliche Mindestlohn soll in zwei Schritten bis 2027 auf 14,60 Euro je Stunde steigen. Dies beschloss die zuständige Kommission der Tarifparteien einstimmig und widersetzte sich damit den politischen Forderungen nach einer raschen Erhöhung auf 15,00 Euro. Die kontroversen Debatten um den Mindestlohn gehen aber weiter.
Von Andreas Heitker, Berlin
Die Einigung kam am Freitagmorgen um 9.10 Uhr. Nach harten Verhandlungsrunden und wenig Schlaf votierten die Mitglieder der Mindestlohnkommission nur 50 Minuten vor der anberaumten Pressekonferenz einstimmig für einen Kompromiss: Demnach soll der gesetzliche Mindestlohn von heute 12,82 Euro brutto je Stunde Anfang 2026 auf 13,90 Euro und ein Jahr später auf 14,60 Euro steigen. Der politische Druck förderte innerhalb der Kommission offenbar den Willen, ein eindeutiges und gemeinsames Signal der Handlungsfähigkeit zu senden. Insbesondere die SPD hatte ja eine Erhöhung auf 15,00 Euro schon im nächsten Jahr gedrungen – auch, um ein zentrales Wahlversprechen umgesetzt zu sehen.

Die Vorsitzende der Mindestlohnkommission, Christiane Schönefeld, die den Kompromiss vorgeschlagen hatte, verwies auf die anhaltende wirtschaftliche Stagnation. Die Erhöhung berücksichtigte zum einen die Mindestschutzfunktion für die Arbeitnehmer, zum anderen aber die Entwicklungen am Arbeitsmarkt und der Konjunktur. Von der Erhöhung profitieren nun – je nach Schätzung – zwischen 5 und 6 Mill. Menschen. Nach Einschätzung von Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands, erhalten diese 2027 im Schnitt 310 Euro mehr im Monat als heute. Körzell sieht für die nächsten zwei Jahre rund 5,7 Mrd. Euro an zusätzlicher Lohnsumme, die wohl komplett in den Konsum fließe und damit die Binnennachfrage unterstützt.

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Commerzbank-Analyst Ralph Solveen verwies darauf, dass der Mindestlohn damit erneut stärker zulegen werde als die Tariflöhne. Dies dürfte die Lohnkosten erhöhen und damit die Inflation eher anschieben und gleichzeitig auf längere Sicht die Aussichten geringqualifizierter Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern. Skeptische Kommentare kamen auch vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW): Die Mindestlohnkommission habe eindrucksvoll ihre Unabhängigkeit demonstriert. Die Entscheidung dürfte aber zu einem schleichenden Verlust von einfachen Jobs führen.
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) will den Vorschlag Kommission nun per Rechtsverordnung verbindlich machen. Ein hoher Wert sei das Funktionieren der Sozialpartnerschaft an dieser Stelle, stellte sie klar. Auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sprach von einem guten Signal: Löhne gehören in der sozialen Marktwirtschaft in die Hand der Tarifparteien, betonte sie. Dass der SPD-Arbeitnehmerflügel gleich auf Distanz zu den Empfehlungen der Kommission ging, zeigte aber auch, dass die politische Diskussion zu dem Thema noch längst nicht zu Ende ist.
Warnungen vor Jobverlusten
Auch aus der Wirtschaft kamen Warnungen, dass mit dem Kostenanstieg jetzt weitere Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden – etwa im Handel oder der Landwirtschaft. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, verwies darauf, dass jede Mindestlohn-Erhöhung jenseits der Produktivität zu Verlagerungen führe. Allerdings stellte auch er klar: Die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission sei ein Wert an sich.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht die Kommissionsentscheidung dennoch als eine „verpasste Chance“ an. Die Angst vor Jobverlusten und einer Lohn-Preis-Spirale infolge des Mindestlohns sei empirisch unbegründet, erklärte er. Die Mindestlohnkommission ignoriere zudem die EU-Vorgabe, 60% des Medianlohns anzustreben – was rund 15 Euro entspräche. „Der Mindestlohn ist kein Hemmschuh, sondern ein Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität“, betonte Fratzscher.
Im EU-Vergleich liegt Deutschland mit seinem Mindestlohn von aktuell 12,82 Euro an vierter Stelle. Höhere Mindestlöhne gibt es in Luxemburg (15,25 Euro), den Niederlanden (14,06 Euro) und Irland (13,50 Euro). Ganz am Ende dieser Liste sind Ungarn (4,23 Euro) und Bulgarien (3,32 Euro) zu finden.