Freundschaftsvertrag

Neuer Handelskrieg im Süden der EU

Europa sucht nach alternativen Energiequellen, um so schnell wie möglich vom Gas und Öl aus Russland wegzukommen. Dabei bergen auch andere Lieferanten politische Risiken: Algerien hat die Handelsbeziehungen zu Spanien wegen des Streits um die Westsahara auf Eis gelegt.

Neuer Handelskrieg im Süden der EU

ths Madrid

Nach der russischen Invasion der Ukraine brachte die spanische Regierung von Pedro Sánchez ihr Land als alternativen Gaslieferanten für Europa ins Spiel. In Brüssel und Berlin wurde die Idee mit Interesse aufgenommen, schließlich verfügt Spanien über die meisten Aufarbeitungsterminals für Flüssiggas und bezieht seit Jahrzehnten Erdgas über Pipelines durchs Mittelmeer aus Algerien. Doch nun muss Madrid selbst um die Versorgungssicherheit bangen.

Am Mittwochabend kündigte die Regierung in Algiers den Freundschaftsvertrag mit Spanien von 2002 auf und wies die heimischen Banken an, keine Transaktionen für Handelsgeschäfte mehr mit Spanien zu tätigen. Es ist der letzte Schritt in einer Krise, die seit einiger Zeit gärt. Spanien hat es seit langem mit zwei komplizierten, da miteinander zutiefst verfeindeten Nachbarn im Maghreb zu tun. Wegen diverser Streitigkeiten schloss Algerien im November die Pipeline, die Erdgas über marokkanisches Gebiet auf die Iberische Halbinsel beförderte. Seitdem fließt das Gas nur noch über eine andere Röhre, die direkt von Algerien nach Spanien führt. Einer der Konfliktpunkte zwischen Rabat und Algiers ist der Streit um die Westsahara. Algerien sieht sich als Schutzmacht der Urbevölkerung dieser ehemaligen spanischen Kolonie. Im März vollzog Sánchez eine überraschende Wende der langjährigen spanischen Position und unterstützt nun den marokkanischen Plan für einen Autonomiestatus der Region gegenüber einem Referendum über den Status der Westsahara, wie es die Uno vorsieht. Algerien zog aus Protest seinen Botschafter aus Madrid ab.

Nachdem Sánchez am Mittwoch im spanischen Parlament diesen Kurswechsel verteidigt hatte, reagierten die Algerier mit der Aussetzung der Handelsbeziehungen. Außenminister José Manuel Albares kündigte am Donnerstag eine „angemessene, ernste und konstruktive, aber entschiedene Reaktion zur Verteidigung der Interessen Spaniens und seiner Unternehmen“ an. Laut Medienberichten hebt sich Madrid die Option auf, Algerien bei der Europäischen Union anzuschwärzen, da die Repression gegen ein Abkommen zwischen Algiers und der EU von 2005 verstößt. In Brüssel reagierte man mit Sorge auf die diplomatische Krise an der Südflanke der Union. „Die Aussetzung des Freundschaftsvertrags mit Spanien ist äußerst besorgniserregend, und wir fordern Algerien auf, die Entscheidung zu überdenken“, erklärte die außenpolitische Sprecherin Nabila Massrali laut El País.

Zunächst war nicht klar, inwiefern die Reaktion aus Algiers die Gaslieferungen nach Spanien betreffen würde. Die spanischen Energieversorger Endesa und Naturgy wie auch die Regierung beschwichtigten und verweisen darauf, dass Algerien den bis 2032 laufenden Vertrag zwischen Naturgy und der algerischen Sonatrach erfüllen werde. Sonatrach hält 4% der Aktien an Naturgy.

Für die Algerier ist Italien mittlerweile ein wichtigerer Abnehmer als Spanien. Vor kurzem handelte Ministerpräsident Mario Draghi eine Erhöhung der Gaslieferungen aus Nordafrika aus, um die hohe Abhängigkeit seines Landes von Russland zu reduzieren. Laut „Business Insider“ zeigt sich die Nato besorgt über das Risiko der Gaslieferungen aus Algerien. Spanische Diplomaten versicherten am Donnerstag jedoch, dass Algerien kein großes Thema auf dem Nato-Gipfel in Madrid Ende des Monats sein werde. Spanien hat mit dem Bau von sechs LNG-Terminals – ein weiteres ist noch nicht in Betrieb – seine Quellen diversifiziert. Kamen 2021 noch 43% des Erdgases aus Algerien, so hat in diesem Jahr das Flüssiggas aus den USA den ersten Platz eingenommen. Auch Katar ist ein begehrter Lieferant, wie der Besuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in dem Emirat im März bewies.

Bei der Suche nach alternativen Energiequellen könnten sich die Europäer derweil etwas Zeit lassen, wenn man Kreml-Sprecher Dmitri Peskow glaubt. Dieser versichert gegenüber der Agentur Interfax, dass man nach Finnland, Polen, Bulgarien und den Niederlanden vorerst keinem anderen Land den Gashahn abdrehen werde.

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