Notenbank überarbeitet Strategie

Neujustierung der EZB-Geldpolitik

Vier Jahre nach ihrer letzten Strategieüberprüfung stellt die EZB ihre geldpolitischen Instrumente auf den Prüfstand. Eine wichtige Rolle wird dabei die Kommunikation mit den Finanzmärkten spielen. Auch das teils heftig kritisierte Instrument der Anleihekäufe beschäftigt die Notenbanker.

Neujustierung der EZB-Geldpolitik

Neujustierung der EZB-Geldpolitik

Notenbank überarbeitet Strategie – Wohl Änderungen bei Kommunikation – Anleihekäufe sollen wichtiges Instrument bleiben

Von Martin Pirkl, Frankfurt

Vier Jahre nach ihrer letzten Strategieüberprüfung stellt die EZB in diesem Sommer ihre geldpolitischen Instrumente auf den Prüfstand. Eine wichtige Rolle wird dabei die Kommunikation mit den Finanzmärkten spielen. Auch das teils heftig kritisierte Instrument der Anleihekäufe beschäftigt die Notenbanker.

Die milliardenschweren Anleihekäufe der EZB ab 2015 haben der Notenbank Kritik, juristischen Ärger und für das vergangene Jahr einen Rekordverlust eingebracht. Trotz alledem wollen die Währungshüter offenbar am Instrument des Quantative Easing (QE) in Zeiten niedriger Inflation und Zinsen festhalten. Dies dringt aus der Notenbank zu der derzeit laufenden Strategieüberprüfung heraus. Anfang Mai hat sich der EZB-Rat zu zweitägigen Beratungen in Portugal getroffen. Die überarbeitete Strategie will die Zentralbank im Sommer präsentieren, möglicherweise sogar schon Anfang Juli im Zuge des EZB-Forums in Sintra, einer der wichtigsten Notenbankkonferenzen der Welt.

Alexander Krüger, Chefökonom der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, betont, dass QE eine wichtige Maßnahme der EZB sein kann. „Was wäre denn die Alternative zum QE ab 2010 gewesen?“, fragt er. Ohne die milliardenschweren Anleihekäufe hätte eine Finanzkrise entstehen können. Krüger kritisiert jedoch den längeren Einsatz des Instruments. „QE sollte ein für Krisen zeitlich begrenztes Mittel sein. Etwa bei einer Finanzkrise oder einem drohenden Abrutschen in eine Deflation.“ Wobei der Ökonom mit Abrutschen in eine Deflation nicht einzelne Monate mit sinkenden Verbraucherpreisen meint, sondern eine längere Phase fallender Preise und ein schrumpfendes Kreditvolumen.

Kontroverse QE

„Wenn sich die Marktteilnehmer daran gewöhnen, dass die EZB in großem Stil Anleihen kauft, nimmt die disziplinierende Wirkung der Kapitalmärkte auf die Regierungen ab“, sagt Krüger. „QE sollte nicht dazu führen, dass die EZB Anleihen kauft, die am Markt keiner will“, meint Alessandro Tentori, CIO Europe bei Axa Investment Managers. Auch EZB-Ratsmitglieder wie Pierre Wunsch oder Isabel Schnabel mahnen die Notenbank, künftig sparsamer mit QE umzugehen. Bei einem längeren Einsatz würden die Kosten den Nutzen übersteigen.

Bei der Strategieüberprüfung wird auch die Frage im Raum stehen, welche Lehren die EZB aus dem Anstieg der Inflation ab 2021 gezogen hat. Lange verkannte sie den Preisanstieg als „vorübergehend“ und reagierte mit Zinserhöhungen zu spät. Mit ein Grund für die verzögerte Reaktion war die vorherige Kommunikation der Notenbank. So hatte die EZB öffentlich gesagt, dass Zinserhöhungen erst dann in Betracht kämen, wenn die Anleihekäufe beendet sind. Diese Selbstbindung durch sogenanntes Forward Guidance machen Ökonomen als einen Grund für die verspäteten Zinserhöhungen aus.

Aus Fehlern lernen

Forward Guidance nutzt die EZB derzeit nicht mehr. Stattdessen betont sie mantraartig, dass sich die Notenbank vorab auf keinen bestimmten Kurs festlege und datenabhängig von Sitzung zu Sitzung entscheide. „Insofern hat die EZB aus ihrem Fehler gelernt“, sagt Krüger. Die Notenbank kann jedoch nicht komplett auf Hinweise verzichten, wie die künftige Geldpolitik aussehen könnte. Schließlich brauchen die Finanzmärkte Ansatzpunkte, an denen sie sich orientieren können.

Da die Inflation in den kommenden Jahren mutmaßlich volatiler sein wird als in der Vergangenheit und die Unsicherheit insgesamt höher, dürfte die EZB verstärkt auf Szenario-Analysen setzen. „Die EZB sollte in der Kommunikation aber darauf eingehen, für wie wahrscheinlich sie die jeweiligen Szenarien hält“, sagt Tentori. Er schlägt außerdem vor, dass sich die EZB bei der Inflationsprognose die Bank of England zum Vorbild nimmt. Diese veröffentlicht Fächerdiagramme dazu, wie sich die Inflation in den kommenden zwei Jahren entwickeln könnte.

Wohl keine Dot Plots

Diese Diagramme bestehen aus einem Basisszenario, welches das für die Notenbank wahrscheinlichste Ergebnis widerspiegelt. Umgeben ist dieses von schraffierten Flächen, die jeweils 10% Wahrscheinlichkeit repräsentieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Inflation im engsten Band um die zentrale Projektion bewegt, liegt somit bei 10%, für die beiden engsten Bänder 20% usw. „Das hätte ich als Marktteilnehmer auch gerne von der EZB“, sagt Tentori.

Dot Plots, wie sie die Fed verwendet, wünscht er sich dagegen nicht von der EZB. Bei diesen geben die einzelnen US-Notenbanker Schätzungen ab, wo sich der Leitzins am Jahresende befindet. EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte ins Spiel gebracht, ob diese Methode auch für das Eurosystem eine Lösung sein könnte. Ihre Ratskollegen scheinen sich jedoch mehrheitlich nicht dafür begeistern zu können.

Bei der Konferenz „The ECB and its Watchers“ im März gab es Forderungen an die Notenbank, künftig weniger zu kommunizieren. Bei der Flut an Wortmeldungen könnten wichtige Informationen sonst untergehen. Ähnlich sieht es Krüger. „Ich wünsche mir, dass sich Notenbankchefs eher zurückhalten statt sich ständig zu Wort zu melden“, sagt er. „Es muss nicht jede Nuance breitgetreten werden.“ Grundsätzlich lobt er jedoch die Kommunikation der EZB unter Präsidentin Christine Lagarde. „Die weitgehend einheitliche Kommunikation unter ihrer Führung ist zu begrüßen. Öffentliche Streitigkeiten wie früher helfen nicht weiter.“

KI verbessert Modelle

An Bedeutung gewinnen für die EZB und die nationalen Notenbanken dürfte zudem der Einsatz von KI. Neben der Auswertung der Kommunikation kommt die Technik auch in Prognosemodellen bereits zum Einsatz. „KI ist vor allem für die Schätzung von nicht-linearen Zusammenhängen nützlich“, sagt Tentori. „So lassen sich etwa Zweitrundeneffekte bei der Inflation künftig besser vorhersagen.“

Eine Arbeitsgruppe bei der Strategieüberprüfung kümmert sich dem Vernehmen nach zudem um langfristige Effekte auf die Inflation. Für viele Ökonomen verdichten sich die Anzeichen, dass die Teuerung strukturell höher sein dürfte als in den Jahren vor der Pandemie. So könnten etwa die Alterung der Gesellschaft und die grüne Transformation der Wirtschaft den Preisdruck erhöhen. Vor diesem Hintergrund scheint eine Phase mit extrem niedriger Inflation fürs Erste eher unwahrscheinlich – auch ganz ohne milliardenschwere Anleihekäufe.

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