Notiert in Mailand

Aussterbende Spezies

Zeitungskioske gehören zum Bild vieler italienischer Städte. Der Weg zum Kiosk und dann ins Caffè war für viele Italiener quasi ein Ritual. Doch mit den Zeitungslesern sterben auch die Kioske.

Aussterbende Spezies

Notiert in Mailand

Aussterbende Spezies

Von Gerhard Bläske

Der Gang zum Zeitungskiosk und dann ins Caffè gehört für viele Italiener zum morgendlichen Ritual. Doch dieses Bild ist zum Klischee geworden. Denn immer weniger Italiener lesen Zeitung – und wenn, dann digital. Und so geht die Zahl der Zeitungskioske seit Jahren dramatisch zurück. Allein zwischen 2019 und 2023 machten fast 2.700 von ihnen zu. 13.500 zählt der zuständige Verband Unioncamere aktuell. Besonders viele (2.370) gibt es in der Lombardei, gefolgt vom Latium (1.664) und der Emilia Romagna (1.329). Gemessen an der Bevölkerung gibt es jedoch die meisten in Ligurien (2.283 pro Einwohner) und die wenigsten im Trentino und in Südtirol, wo insgesamt nur 88 solcher Kioske existieren.

Auch der Autor dieser Zeilen liest seine Zeitung fast nur digital. Der gewohnte Zeitungskiosk um die Ecke hat vor drei Jahren geschlossen. Ein Nachfolger fand sich nicht. So entfällt auch der frühere Plausch über die neuesten Fußballergebnisse, das Wetter oder die Weltläufe. Zumindest im Caffè liegen noch ein paar Blätter aus, die zum schnellen Durchschauen einladen.

Der Niedergang der Kioske ist wohl unaufhaltsam. Wer nicht gerade einen Standort in der Nähe eines stark frequentierten Bahnhofs, einer Schule oder einer belebten Straße hat, hat es schwer. Früh morgens gegen 5 Uhr werden die Zeitungen geliefert. Danach muss eingeräumt und die Ware ausgestellt werden. Das kann Stunden dauern. Dazwischen stehen der oder die Betreiber, in 37% der Fälle sind das Frauen, in den im Sommer aufgeheizten und im Winter oft eiskalten Buden und versuchen so gut wie möglich ihre Ware an den Mann, die Frau oder das Kind zu bringen. Am Abend muss dann alles wieder ausgeräumt werden und unverkaufte Zeitungen werden zurückgeschickt. Und das an oft sechs Tagen die Woche, manchmal im Wechsel mit den immer weniger werdenden „Kollegen“ in der Nachbarschaft auch an Sonn- und Feiertagen. Die Kioske gehörten zu den wenigen Betrieben, die sogar während der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 öffnen durften. Nur im August habe die meisten von ihnen zu.

Mit dem Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften allein lässt sich längst nicht überleben. Die gedruckten Auflagen der Zeitungen sind auf ein Minimum gesunken. Der "Corriere della Sera" kommt noch auf etwa 130.000 Exemplare, die "Repubblica" auf 76.000 und selbst die berühmte "Gazzetta dello Sport" nur noch auf 74.800 Exemplare pro Tag.

Michela Schiavon, die mit ihrer Schwester Simona seit 2006 einen Zeitungskiosk im Genueser Stadtteil Sestri Ponente betreibt, hat ihr Angebot auf Schulmaterial ausgeweitet, vom Kugelschreiber bis hin zu Heften. Zugute kommt ihr, dass der traditionelle Schreibwarenhandel Buffetti um die Ecke geschlossen hat und deshalb viele Schüler aus den nahen Schulen zu ihren Kunden zählen. Zu ihrem Sortiment gehören auch Fanartikel der lokalen Fußballteams Sampdoria Genua und CFC Genova. Doch deren wechselndes sportliches Geschick beeinflusst auch die Geschäfte der beiden Schwestern, die Fans des 2023 nach einem Jahr in der Serie B wieder in die höchste Liga aufgestiegenen CFC Genvoa sind. Lokalrivale Sampdoria dagegen ist abgestiegen.

Im Sortiment vieler Kioske finden sich zusätzlich auch Spielzeug, Kalender, Sammelbilder, Postkarten und Bücher. Auch Getränke und teilweise Lebensmittel sind erhältlich sowie manchmal sogar Parfümerie-Artikel. Oft gibt es auch Tickets für den öffentlichen Nahverkehr oder es werden Telefonkarten aufgeladen. Man muss sich etwas einfallen lassen und man muss Durchhaltevermögen haben. Der Verdienst ist oft mager und bisweilen wird auch noch Ware geklaut.

So wie viele Kunden sind auch die Kioskbetreiber in die Jahre gekommen. Der Anteil der unter 35-Jährigen unter den Betreibern ist mit 6% verschwindend gering. Und mit den weiter sinkenden Zeitungsauflagen wird sich der Niedergang wohl fortsetzen – mit Ausnahme einiger Klassiker an den zentralen Plätzen und vor den Bahnhöfen.

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