Paul Kirchhof 75
Von Stephan Lorz, Frankfurt Eigentlich wäre jetzt wieder an der Zeit für den Verfassungsrechtler und Bürgeranwalt Paul Kirchhof. Die Steuerquellen sprudeln zwar, die Ausgaben wachsen aber in noch viel stärkerem Maße; und obendrein wabern immer neue Ideen für zusätzliche Staatsaufgaben durch die Öffentlichkeit; zuletzt etwa die Forderung nach einem kostenfreien öffentlichen Nahverkehr. Am Ende ist es dann immer der Steuerzahler, der für derlei “Angebote” aufzukommen hat und eine höhere Belastung schultern muss. Ein öffentlichkeitswirksamer Anwalt für die Interessen des Steuerzahlers, ein Mahner, der den Fiskus in seine Grenzen weist, wie es Kirchhof in der Vergangenheit immer gewesen ist, wäre also nötiger denn je. In seiner Zeit als Verfassungsrichter wurde Paul Kirchhof vom damaligen Finanzminister Theo Waigel denn schon einmal als sein “teuerster Richter” apostrophiert, weil er den Zugriff des Fiskus auf das Portemonnaie der Bürger bändigte und sich die Richter meist auf die Seite des Steuerbürgers schlugen. Kirchhof erfand bei der Vermögenssteuer den “Halbteilungsgrundsatz”, wonach es dem Staat nicht erlaubt sein dürfe, mehr als die Hälfte vom Einkommen seiner Bürger zu fordern. Dieser Grundsatz wurde dann zwar bald wieder kassiert, doch eine gewisse Beißhemmung beim Fiskus ist geblieben, und viele andere Leitgedanken Kirchhofs wie seine Forderung auch im Ergebnis gleichheitsgerechter Besteuerung entfalten bis heute ihre Wirkung. Das gilt vor allem für seine Verknüpfung des Steuerrechts mit dem Freiheitsgedanken selbstbestimmter und selbstverantwortlicher Bürger. Kirchhof habe in Karlsruhe das Steuerrecht “aus seinem Dornröschenschlaf erweckt”, lobte deshalb einmal Rudolf Mellinghoff, der Präsident des Bundesfinanzhofs, in einer Würdigung des Verfassungsrechtlers. Kirchhofs Ansatz war umfassend. Er wollte das Steuerrecht von allen Lenkungsnormen befreien, welche die Menschen, wie er sagt, “in Schrottimmobilien, Schiffsfonds und Abschreibungsgesellschaften treiben”. Er wollte den Gesetzgeber zwingen, es verständlicher zu formulieren und zu entschlacken, weil die Intransparenz nur jene begünstigt, die sich teure Steueranwälte und darauf spezialisierte Berater leisten können. Und weil das Steuerrecht dadurch nur immer weiter an Respekt und Akzeptanz verliert.Sein Engagement als Verfassungsrichter von 1987 bis 1999 nötigte auch der Politik Respekt ab, weshalb die CDU-Vorsitzende Angela Merkel Kirchhof im Bundestagswahlkampf 2005 in ihr Schattenkabinett aufnahm. Als weltfremder “Professor aus Heidelberg” wurde er seinerzeit aber vom politischen Gegner verspottet. Hartnäckiger BürgeranwaltNachdem es zur großen Koalition der CDU/CSU mit der SPD kam, kehrte er der Politik den Rücken und werkelte an seinem Steuergesetzbuch weiter, einem radikalen Entwurf zur Vereinfachung des deutschen Steuerrechts. In einem Band samt Kommentar hatte er nach seinen Angaben aus rund 33 000 Normen nicht mehr als 146 Paragrafen gemacht. Denn das gegenwärtige Steuerrecht hält er nicht mehr für anwendbar. Es gehe um mehr als den Austausch von Reifen, Blinker und Scheibenwischer, sondern um den Wechsel von Motor und Getriebe, sagte er. Später widmete er sich dem Thema Staatsverschuldung und sprach einer konsequenten Einführung einer Finanztransaktionssteuer das Wort, forderte in diesem Zusammenhang sogar eine einmalige Vermögensabgabe. Zuletzt verlangte er unter dem Eindruck der jüngsten Bundestagswahl eine Reform des Wahlrechts, weil über die Koalitionsbildung letztlich nicht der Wahlakt bestimme, sondern dies durch Verhandlungen entschieden werde. Parteien sollten daher vor der Wahl erklären, welche Koalitionen sie einzugehen bereit seien. Mit enormem Engagement und großer Hartnäckigkeit hat sich Kirchhof zeitlebens der Modernisierung des Steuerrechts verschrieben. Einen Nachfolger in dieser Rolle scheint es derzeit weit und breit nicht zu geben. Dabei sind die Themen Steuervereinfachung und Steuersenkung so wichtig und akut wie damals. Die Dringlichkeit wird obendrein verschärft durch die notwendige Anpassung der Besteuerungsgrundlagen an die Herausforderungen des digitalen Wandels. Der nationale Steuerwildwuchs ist schließlich geblieben, und der internationale Steuerwettbewerb hat eher noch an Schärfe zugenommen, hinzu kommen nun Probleme, die digitale Wertschöpfung angemessen an der Staatsfinanzierung zu beteiligen. An Vorschlägen hierzu fehlt es allerorten – und an einem steuerpolitischen Gesamtkonzept sowieso. Am heutigen Mittwoch feiert Paul Kirchhof seinen 75. Geburtstag.