BSW-Forum

„Politiker mit dem Mut zum Scheitern wachsen nicht auf Bäumen“

Berlin kommt in vielen sozialen Fragen kaum voran. Die Parteien blockieren sich gegenseitig. Auf dem BSW-Forum in Frankfurt war eine Frage, wie sich die Misere lösen lässt und was die Privatwirtschaft tun kann.

„Politiker mit dem Mut zum Scheitern wachsen nicht auf Bäumen“

„Politiker mit dem Mut zum Scheitern wachsen nicht auf Bäumen“

Berlin scheint handlungsunfähig – Parteien blockieren sich gegenseitig – Notwendige Reformen wie bei der Altersvorsorge bleiben liegen

lz Frankfurt

Christian Vollmuth, Geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands für strukturierte Wertpapiere (BSW), scheint den Glauben verloren zu haben. Den Glauben an eine Politik, die sich tatsächlich einem so wichtigen Thema wie der privaten Altersvorsorge widmet. „Wir müssen es wohl ohne Politik selbst in die Hand nehmen“, sagt er auf dem diesjährigen BSW-Forum in Frankfurt. Statt die ohnehin unter Druck stehende gesetzliche Altersvorsorge zu stabilisieren, würde die Politik ihr noch mehr Finanzprobleme bereiten. Und mit der privaten „Frühstartrente“ gehe man so zaghaft vor, dass diese auf absehbare Zeit keinerlei Wirkung mit sich bringen würde für das Gesamtsystem.

Bislang habe man gedacht, dass es eine rein privatwirtschaftliche Lösung sein solle. Doch könne daraus auch ein Investment in einen Staatsfonds werden. Man höre auch, dass die SPD plant, nicht mit allen Jahrgängen gleichzeitig zu beginnen. In weite Ferne gerückt sei damit die ernsthafte Reform der privaten Altersvorsorge für alle. Die Union befürworte zwar eine Reform mit dem Fokus auf eine individuelle Depotlösung mit Freiheiten für die Anleger. Doch innerhalb der SPD gebe es weiterhin große Bedenken gegenüber den Kapitalmärkten.

Politische Prozesse zu langsam

Auch der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg hadert mit der aktuellen Politik. In seiner Keynote kritisierte er den viel zu langsamen politische Prozess in Deutschland und warnt vor der Selbstdemontage der Demokratie: „Wenn es der Politik nicht gelingt, in wenigstens ein paar emotionalen Themen klar Führung zu zeigen und Ergebnisse vorzuweisen, haben wir in zwei Jahren die AfD bei 30%“. Berlin müsse „mehr ausprobieren, mehr wagen“.

Insgesamt habe sich in Deutschland eine Kultur der Risikovermeidung und des Verzögerns breitgemacht, die oft als Problemdebatte unter dem Siegel der „deutschen Gründlichkeit“ daherkomme. Die enorme Bürokratie sei ein Ausdruck dieser gesellschaftlichen Haltung. Doch andere Länder seien eben schneller, was bei tektonischen Verschiebungen, wie sie aktuell stattfinden, Deutschland als Standort zurückwerfe.

Und was hält Politiker eigentlich davon ab, zu handeln? Guttenberg verweist auf „Gummibänder“ im politischen Prozess, in denen man sich schnell verstricken könne, wenn eine Idee durch die Gremien wandert. Nur bei großer Popularität könne man gegen Intrigen und Bedenkenträger gewinnen.

Perfektes System aus Veto-Playern

Eine Struktur, die Florian Toncar noch aus eigener Anschauung kennt als Finanzstaatssekretär in der Ampelregierung: „Deutschland hat es geschafft, ein perfektes System aus Veto-Playern in allen Ecken des politischen Systems zu installieren“, beschreibt er. In einer Zweier-Koalition geht nichts ohne den kleineren Koalitionspartner, die Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern seien hochkompliziert und dysfunktional, die Justiz setze der Politik immer engere Grenzen und die EU-Kommission sorge für weitere Bremsen und Regulierung. Jede größere Interessengruppe könne verzögern, blockieren und stoppen.

Toncar warnt vor einer Demokratiekrise, weil das Vertrauen der Bürger verlorengeht, weil jene Politiker, die sie eigentlich zum Handeln gewählt haben, ihren Auftrag nicht erfüllten, sondern auf Randdebatten ausweichen würden. Ergebnis: Die Wähler vertrauen der Politik und ihren Institutionen nicht mehr. Die Handlungsfähigkeit der Politik wieder herzustellen, dazu ist Toncar zufolge nur eine große Staatsreform in der Lage.

Allerdings: Wenn aber schon eine Agenda-2010-Reform durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder zu dessen Sturz führte, wer soll dann den Mut zu einer solchen Selbstaufopferung mitbringen? „Von den politischen Charakteren, die auch bereit sind, zu scheitern, gibt es nur ganz wenige, sie wachsen nicht auf Bäumen“, sagt Guttenberg und scheint auch den Glauben an die Handlungsfähigkeit der Politik verloren zu haben.