Plötzlich spricht Powell Klartext
Von Peter De Thier
So deutlich ist US-Notenbankchef Jerome Powell selten gewesen. Ohne die Worte tatsächlich über die Lippen zu bringen, ließ er keinen Zweifel mehr daran, dass der Fed-Offenmarktausschuss (FOMC) im September den Leitzins senken wird. Die positiven Marktreaktionen sprachen Bände. Und unter bisher skeptischen Ökonomen setzte sich ein Konsens darüber durch, dass die Währungshüter am 18. September den Tagesgeldsatz um 25 Basispunkte heruntersetzen werden.
Doch warum spricht Powell plötzlich Klartext? Haben Veränderungen im gesamtwirtschaftlichen Umfeld den Fed-Vorsitzenden plötzlich zu der Einsicht gebracht, dass ein Ende der seit sieben Monaten andauernden Zinspause längst fällig ist? Er spricht von „Risiken, die sich verschoben haben“. Gewiss sei die Inflation weiter zu hoch. Doch während sich die Preissteigerungen verlangsamt haben, droht eine Talfahrt am Jobmarkt.
Folgen der Migrationspolitik
Denn die Korrekturen in dem jüngsten Arbeitsmarktbericht der Regierung haben Schockwellen ausgelöst. Demnach sind seit Jahresbeginn im Schnitt monatlich nur 83.000 Stellen entstanden. Daraus schließt US-Präsident Donald Trump zwar, dass er die Chefin der für die Zahlen zuständigen Behörde entlassen muss. Powell und seine Kollegen ziehen hingegen nüchterne ökonomische Konsequenzen. Sie meinen, dass die Abschwächung am Jobmarkt unbestreitbar ist und sich deutlich beschleunigen könnte.
Und er nannte einen Grund, der Trump zur Weißglut bringen dürfte: Die Migrationspolitik des 47. Präsidenten. Der Wegfall von Arbeitskräften aus anderen Ländern habe dazu geführt, dass Unternehmen unter Personalproblemen leiden. Die Folgen können diverse Wirtschaftsbranchen treffen: Dazu zählen landwirtschaftliche Betriebe, die Jobs zu füllen haben, die US-Arbeitnehmer nicht interessieren. Auch Tech-Unternehmen und Industriekonzerne, denen es an den notwendigen Ingenieuren, IT-Experten und anderen Fachkräften fehlt. Wenn es an den notwendigen Mitarbeitern mangelt, dann könnten Unternehmen ihre Produktion zurückfahren. Das wiederum könnte noch geringeres Wachstum zur Folge haben. Ohne das „R-Wort“ in den Mund genommen zu haben, hat Powell also klar artikuliert, dass Trumps Migrationspolitik sogar zu einer Rezession führen könnte.
Kritik an Trumps Zöllen
Aber dabei ließ er es nicht bewenden. Der Fed-Vorsitzende stellte auch fest, dass Trumps Strafzölle sich mittlerweile in Preissteigerungen niederschlagen. Dieser Trend sei noch nicht in vollem Umfang sichtbar, werde sich in den kommenden Monaten aber beschleunigen. Das wiederum könnte signalisieren, dass die Währungshüter umso größere Sorgfalt walten lassen, wenn sie beginnen, die geldpolitischen Zügel zu lockern. Gleichwohl schien Powell auf die Linie seines Vorstandskollegen Christopher Waller einzuschwenken. Waller meint, dass die inflationären Effekte der Zölle einmalig und von kurzer Dauer sein werden. Mit dieser Einschätzung hat er in seinem Chef nun einen Verbündeten gefunden.
In Summe bedeutet dies, dass trotz der sehr hohen Wahrscheinlichkeit einer Lockerung im September, darüber hinaus alles offen bleibt. Und Powells Zögerung, einen Ausblick über mehrere Monate zu geben, ist nachvollziehbar. Schließlich hatte sich der oberste Währungshüter im Gefolge der Corona-Pandemie die Finger verbrannt. Viel zu lange verkannte er die inflationären Folgen der ultralockeren Geldpolitik und pflasterte damit den Weg für die höchste Inflation in über 40 Jahren.
Konflikt wird sich zuspitzen
In den zwei Jahren danach sah er sich dem Vorwurf ausgesetzt, mit der restriktiven Geldpolitik den Bogen zu weit in die andere Richtung überspannt zu haben. Also bleibt er nun vorsichtig und will, dass das FOMC einen flexibleren Handlungsspielraum hat. Das kommt auch in den Modifikationen des geldpolitischen Rahmenwerks zum Ausdruck. Sicher ist bis Mai kommenden Jahres – dann endet Powells zweite Amtsperiode – nur eines: Dass der Konflikt zwischen Trump und dem Fed-Chef an Schärfe gewinnen wird. Denn Kritik an seiner Migrations- und Handelspolitik wird sich der Präsident nie und nimmer gefallen lassen.