Gastbeitrag Sachverständigenrat für Wirtschaft

Private Altersvorsorge: Reform mit Potenzial – aber mit Lücken

Der Sachverständigenrat für Wirtschaft dringt bei der Reform der privaten Altersvorsorge auf Nachjustierung. Kostendeckel, Produktauswahl und automatische Teilnahme seien verbesserungswürdig, schreiben die Autoren Ulrike Malmendier, Martin Werding Milena Schwarz und Claudia Schaffranka in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung.

Private Altersvorsorge: Reform mit Potenzial – aber mit Lücken

Gastbeitrag

Altersvorsorgereform hat noch Lücken

Ulrike Malmendier, Claudia Schaffranka, Milena Schwarz, Martin Werding

Mit dem aktuellen Gesetzentwurf zur Reform der privaten Altersvorsorge und den Eckpunkten zur Frühstart-Rente legt die Bundesregierung den ambitioniertesten Modernisierungsschritt seit Einführung der Riester-Rente vor. Vieles deutet auf einen notwendigen Paradigmenwechsel hin: weg von teuren Versicherungsprodukten mit Garantien, hin zu renditestarken und kostengünstigeren Produkten. Der Reformansatz ist daher grundsätzlich positiv zu werten. An entscheidenden Stellen bleibt er jedoch zu mutlos – und vergibt dadurch Chancen. Bei der Altersvorsorge braucht Deutschland endlich beherzte Reformen.

Ein konsistenter Vorsorgepfad – erstmals vom Kindesalter bis in den Ruhestand

Die geplante Reform eröffnet erstmals die Chance, Vorsorge konsistent über das gesamte Leben hinweg zu betreiben – vom Kindesalter über die Erwerbsphase bis zum Ruhestand. Frühstart-Rente und Altersvorsorgedepot greifen konzeptionell ineinander: Die Anforderungen an das Standardprodukt im Altersvorsorgedepot gelten auch für die Frühstart-Rente. Die Zulassung renditestarker OGAW-Fonds, das geplante Standardprodukt mit Lebenszyklusmodell, der Verzicht auf verpflichtende Garantien und die flexiblere Auszahlungsphase markieren einen klaren Bruch mit der gescheiterten Architektur der Riester-Rente.

Sinnvolle Default-Lösung

Besonders sinnvoll ist die geplante automatische Einbeziehung aller Kinder in die Frühstart-Rente mithilfe einer staatlichen Default-Lösung bei der Bundesbank, um alle Kinder zu erreichen. Der Start mit dem Jahrgang der Sechsjährigen stellt sicher, dass die Ansparphase bis zur Volljährigkeit hinreichend lang ist und eine bildungspolitische Begleitung umgesetzt werden kann.

Breite Produktauswahl – aber wenig Orientierung

Trotz guter Ansätze bleibt die geplante Produktlandschaft in der geförderten privaten Altersvorsorge unübersichtlich. So ist im Rahmen des neuen Altersvorsorgedepots ein enormes Spektrum an Investmentfonds förderfähig. Das ist weit entfernt von einer transparenten, klar strukturierten, qualitätsgesicherten Auswahl, die Vorsorgende nicht überfordert und Fehlentscheidungen vermeidet. Zu begrüßen ist hingegen das Verteilen der Abschluss- und Vertriebskosten auf die gesamte Vertragslaufzeit, die den Anbieterwechsel erleichtert.

Kostendeckel zu hoch

Anbieter müssen künftig ein Standardprodukt mit einem Lebenszyklusmodell anbieten – renditeträchtige Aktienfonds in jungen Jahren, später automatische Risikoreduktion. Der für das Standardprodukt vorgesehene Kostendeckel von 1,5% ist zwar ein wichtiger Referenzpunkt für den Gesamtmarkt. Angesichts durchschnittlicher ETF-Kosten von unter 0,5% ist er jedoch zu wenig anlegerfreundlich. Ein umfassender Kostendeckel für alle Produkte würde die Auswahl automatisch sinnvoll begrenzen. Auch fehlen klare Leitplanken zur Höhe der Aktienquote über den Lebenszyklus, wodurch zu renditearme Standardprodukte entstehen dürften.

Der Entwurf verzichtet auf eine unabhängige Fondsauswahlstelle. Internationale Vorbilder wie Schweden zeigen, dass eine Vorauswahl besonders geeigneter Fonds, hohe Transparenz und strikte Qualitätskriterien entscheidend sind, um Kosten niedrig zu halten und Vertrauen zu gewinnen.

Qualität muss überwacht werden

Nach den schlechten Erfahrungen der Bevölkerung mit dem Produktangebot für die Riester-Rente und Einzelaktien wie der Telekom-Aktie können wir uns einen weiteren Vertrauensverlust nicht leisten. Der geplante Zertifizierungsprozess ohne inhaltliche Qualitätsanforderungen genügt dafür nicht. Mindestens beim Standardprodukt sollte der Gesetzentwurf eine solche Qualitätsüberwachung vorsehen.

Ohne automatische Teilnahme bleibt der große Wurf aus

Eines der größten Probleme im aktuellen Entwurf ist, dass er keine automatische Einbeziehung vorsieht, sondern eine Opt-in-Teilnahme auf Antrag. Damit wiederholt sich ein wesentlicher Konstruktionsfehler der Riester-Rente: Haushalte mit niedrigem Einkommen werden schlechter erreicht. Erst bei einer hohen Verbreitung entfaltet sich jedoch eine progressive Verteilungswirkung der Reform, da die Zulagen die Effekte der nachgelagerten Besteuerung bei Geringverdienenden übersteigen.

Evaluierung kommt zu spät

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass technische Schnittstellen zwischen Rentenversicherung, Familienkassen und Finanzämtern geschaffen werden sollen. Dies könnte später eine automatische Teilnahme mit Opt-out ermöglichen. Doch die geplante Evaluierung im Jahr 2031 kommt zu spät. Sollte sich bis dahin keine substanzielle Steigerung der Teilnahme zeigen, führt kein Weg an einer automatischen Erfassung und Beitragserhebung vorbei. Wünschenswert wäre, im Gesetzentwurf bereits ein solches Vorhaben zu hinterlegen. Auch die dringend erforderliche Stärkung des Kapitalmarktes und Schaffung einer besseren Aktienkultur in Deutschland kann nur mit breiter Erfassung der Bevölkerung erreicht werden.

Förderlogik mit Schwächen

Die Zulagenförderung soll künftig proportional zum geleisteten Beitrag gestaltet werden, bis zu einem Höchstbetrag. Haushalte mit sehr niedrigen Einkommen müssen höhere Mindestbeiträge leisten, um überhaupt Zulagen zu erhalten. Für diese Gruppe wäre eine – wie bisher – fixe Zulage zielgenauer. Sinnvoll wäre zudem, den geringen Höchstbetrag von 1.800 Euro regelgebunden zu dynamisieren, um den realen Wert der Förderung für die Zukunft zu sichern.

Drei Stellschrauben zum Erfolg

Das Reformpaket schafft ein solides Grundgerüst für eine moderne kapitalgedeckte Altersvorsorge. Doch für einen echten Neustart braucht es mindestens drei Nachjustierungen:

Erstens: eine engere Produktauswahl und einen umfassenden und deutliche niedrigeren Kostendeckel; Zweitens: eine unabhängige Fondsauswahlstelle, um zumindest beim Standardprodukt Qualität, Kostenkontrolle und Transparenz sicherzustellen – und Drittens: eine automatische Einbeziehung mit Opt-out, um die Verbreitung verbindlich zu erhöhen.

Nur so kann Deutschland den strukturellen Rückstand zu internationalen Altersvorsorgesystemen tatsächlich aufholen – und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.