Coronabeschlüsse

Rätseln über „Ruhetage“

Am Ende des Verhandlungsmarathons steht der Versuch einer Vollbremsung: Bund und Länder haben sich am Dienstag in den frühen Morgenstunden nach gut elf Stunden andauernden Beratungen nicht nur auf eine Verlängerung der geltenden Lockdown-Regeln...

Rätseln über „Ruhetage“

sp Berlin

Am Ende des Verhandlungsmarathons steht der Versuch einer Vollbremsung: Bund und Länder haben sich am Dienstag in den frühen Morgenstunden nach gut elf Stunden andauernden Beratungen nicht nur auf eine Verlängerung der geltenden Lockdown-Regeln bis Mitte April und auf die Durchsetzung der Anfang März vereinbarten Notbremse für Lockerungen geeinigt. Sie haben auch einen in dieser Form beispiellosen, harten Lockdown über die Ostertage beschlossen. „Wir sind in einer sehr, sehr ernsten Lage“, begründete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den verschärften Kurs.

Ohne einschränkende Maßnahmen würde die Zahl der Neuinfektionen so schnell steigen, „dass bereits im April eine Überlastung des Gesundheitswesens wahrscheinlich ist“, heißt es in dem Beschluss von Bund und Ländern mit Blick auf die zuletzt rasant gestiegenen Neuinfektionen. Das „Team Vorsicht“ habe sich durchgesetzt, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Die dynamische Entwicklung lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht anders bremsen“, betonte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Wenige Stunden zuvor hatte der Verhandlungsmarathon selbst noch kurz vor der Vollbremsung gestanden. Am frühen Abend wurden die Beratungen unterbrochen und in Kleingruppen fortgesetzt, bevor sie in den späten Abendstunden wieder zusammengeführt und bis kurz vor 3 Uhr früh schließlich zu einem Ergebnis gebracht wurden.

Für viele Beobachter überraschend kommt die Rückkehr in einen harten Lockdown über die Ostertage. Vom 1. bis zum 5. April soll es eine „erweiterte Ruhezeit zu Ostern“ geben, um die dritte Welle wenigstens zu bremsen. Am Gründonnerstag sollen auch die Lebensmittelgeschäfte schließen. Details, etwa zu Fragen des Arbeitsrechts, müssen noch geklärt werden. Nach Vorstellung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretsch­mann (Grüne) soll Gründonnerstag ein kompletter Ruhetag werden. Das müsse auch für Unternehmen und Betriebe gelten, sagte Kretschmann in Stuttgart. Wie genau dies umzusetzen sei, sei aber noch unklar. Es werde geprüft, ob der Ruhetag über das Infektionsschutzgesetz geregelt werden könne. Offen ist demnach auch, ob es über Ostern ein Gottesdienstverbot geben soll.

Intensivmediziner loben

Lange umstritten waren in den Beratungen von Bund und Ländern auch die Regelungen für Reisen. Das Ergebnis ist nicht weniger umstritten, denn Urlaub innerhalb Deutschlands ist den Beschlüssen zufolge weiterhin nicht möglich, während eine Reise etwa nach Mallorca wegen der niedrigen Inzidenz auf der spanischen Ferieninsel erlaubt ist. Das könne man niemandem erklären, sagte Kretschmann. Die Regelung entspreche zwar dem europäischen Rechtsstaat. „Ich hätte mir aber die Kreativität der Bundesregierung gewünscht, dass wir das verhindert bekommen.“ Dem Beschluss zufolge sollen die Fluggesellschaften nun Urlaubsrückkehrer vor dem Rückflug auf eine Coronainfektion testen.

FDP-Chef Christian Lindner machte nach den Beschlüssen eine „erschütternde Konzeptlosigkeit“ im Kanzleramt aus. In einer Erklärung forderte der FDP-Chef einen „Neustart in der Pandemie-Politik“. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der Bundesregierung vor, ihr Vorgehen habe in die Sackgasse geführt. „Es ist zu spät, es ist zu langsam, es ist zu zögerlich gehandelt worden.“ Der Intensivmediziner-Verband Divi lobte die Beschlüsse von Bund und Ländern.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Dienstag 7485 Neuinfektionen, 2005 Fälle mehr als vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 108,1 von 107,3 am Vortag und liegt mittlerweile fast doppelt so hoch wie im Februar, als die Zahl der Neuinfektionen pro 100000 Einwohner binnen sieben Tagen zeitweise unter 60 lag. Schon damals warnten Experten vor einer dritten Welle, die aufgrund hochansteckender Virusmutationen schnell an Dynamik gewinnen würde.

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