Standort Deutschland

Ratingagentur sieht Wettbewerbs­fähigkeit bedroht

Ratingexperten zufolge muss Deutschland deutlich mehr investieren, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Corona-Pandemie hat die großen Investitionslücken offengelegt.

Ratingagentur sieht Wettbewerbs­fähigkeit bedroht

ast Frankfurt

Deutschland fehlt es an Investitionen – und die Coronavirus-Pandemie hat die großen Baustellen deutlich gemacht, die die Bundesrepublik schleunigst aufholen muss, will sie nicht den Anschluss an andere große Volkswirtschaften verlieren: Das geht aus einer Untersuchung der Scope Group hervor, die mit Sitz in Berlin als europäisches Pendant zu den großen US-Ratingagenturen Moody’s, S&P und Fitch gegründet wurde. Die Investitionslücke schätzen die Experten auf rund 410 Mrd. Euro oder 12% des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Die Rede ist von den Sorgenkindern, die das Land schon lange begleiten: Der demografische Wandel, die zunehmende Digitalisierung und eine abnehmende Produktivität machten öffentliche Investitionen im großen Stil unabdingbar. Insb­esondere im Bereich Bildung, beim Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft und bei der Digitalisierung hinkt Deutschland nach Auffassung vieler Experten schon heute hinterher.

Die Scope-Studie legt hier nun nach. Das schlechte Ergebnis liegt demnach an den fehlenden Investitionen über Jahrzehnte. Andere Staaten investieren zwar aktuell ähnlich verhalten wie Deutschland, allerdings hätten sie in früheren Jahren bereits einen guten Grundstock gelegt (siehe Grafik). So sinken die Nettoanlageinvestitionen seit 2010 bzw. 2014 auch in Italien und Spanien, allerdings hat der Staat hier in den Jahren zuvor deutlich mehr Geld in die Hand genommen.

Als Hürde erwies sich während der Pandemie insbesondere der schleppende Fortschritt bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt. Im Bereich der Bildung sehen die Ökonomen insbesondere die alternde Lehrerschaft und die großen regionalen Unterschiede bei den Ausgaben pro Schüler als problematisch.

Die Investitionslücke sei zwar groß, aber nicht „unüberbrückbar“, heißt es immerhin von den Ratingexperten. So sei der Schlüssel für die künftige Wettbewerbspolitik ein ausgewogenes Verhältnis zwischen öffentlichen Investitionen und fiskalischer Disziplin. Letztere habe es Deutschland in der Finanz- und Eurokrise seit 2009 möglich gemacht, seine Bestnote des AAA-Ratings zu behalten.

Neue Regierung als Hoffnung

Positiv bewertet Scope-Direktor Eiko Sievert die Passagen zu den öffentlichen Investitionen in den Programmen aller größeren Parteien für die Bundestagswahl. Die Grünen legen demzufolge den ehrgeizigsten Investitionsplan vor mit zusätzlichen 50 Mrd. Euro in den kommenden zehn Jahren. Vorschläge zur Erhöhung der Investitionen könnten das Wachstumspotenzial Deutschlands unterstützen, so Scope Ratings.

In der Praxis seien politisch motivierte Ausgabenzusagen, wie sie die Parteien derzeit im Vorfeld der Wahl machten, aber nur sinnvoll, wenn es auch entsprechende Investitionsmöglichkeiten gebe, bei denen öffentliche Investitionen die Produktivität langfristig steigern könnten. „Bei entsprechender Ausrichtung können Investitionen des öffentlichen Sektors sehr effektiv die Investitionen des privaten Sektors ankurbeln“, sagt Sievert. „Dies kann dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch Produktivitätssteigerungen zu erhalten, um dem Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter entgegenzuwirken.“

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