SORGE UM GLOBALE LIEFERKETTEN

Raus aus dem Reich der Mitte

Pandemie verstärkt international den Drang, Produktion aus China abzuziehen - USA und Japan forcieren "Reshoring" neuerdings ungeniert

Raus aus dem Reich der Mitte

rec Frankfurt – Abhängigkeit ist das Wort der Stunde in etlichen Hauptstädten. Übermäßig auf Lieferketten in Übersee zu setzen, halte er für “keine kluge Geschäftsstrategie”, sagte Larry Kudlow, Wirtschaftsberater von US-Präsident Donald Trump, kürzlich bei Bloomberg TV. Auf der anderen Seite des Atlantiks predigt EU-Industriekommissar Thierry Breton, Europa verlasse sich zu sehr auf andere: “Wirtschaftlich auf China, geostrategisch auf die USA.” Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte: “Die Krise zeigt, dass wir einseitige Abhängigkeit vermeiden und internationale Lieferketten stärker diversifizieren müssen.”Raus aus dem Reich der Mitte, zurück in die Heimat: Ganz neu sind diese Töne nicht, eine vermeintlich zu starke Abhängigkeit von China wird diesseits wie jenseits des Atlantiks bereits seit Ausbruch der Handelsstreitigkeiten diskutiert. Mit der Corona-Pandemie erhält die Debatte, Lieferketten zu verlagern und Produktion zurückzuholen (“Reshoring”), aber zusätzlichen Schwung. Medizinische Schutzausrüstung und Pharmaprodukte sind die aktuellen Anlässe, weil China eine zentrale Rolle für die Versorgung der Weltmärkte spielt und USA wie EU im Zuge des Gesundheitsnotstandes Engpässe gewahr wurden. “Beispielloser Kraftakt”Vor allem die USA sehen nun offenbar die Gunst der Stunde für eine Initiative neuer Tragweite gekommen. Die US-Regierung forciert Bestreben, Firmen zur Rückkehr aus China zu bewegen. “Wir haben in den letzten Jahren daran gearbeitet, aber jetzt laden wir diese Initiative auf”, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters unlängst Keith Krach, Unterstaatssekretär für Wirtschaftswachstum, Energie und Umwelt im US-Außenministerium. “Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, wo sich die kritischen Bereiche befinden und wo kritische Engpässe bestehen.” Die Abhängigkeit von Lieferketten in China zu senken, sei ein wichtiger Beitrag zur nationalen Sicherheit. Es ist genau jenes Argument, mit dem Washington im Handelskonflikt bereits etliche Strafzölle etwa auf Stahl und Aluminium rechtfertigte. Schon bald könne die Regierung entsprechende Maßnahmen ankündigen, hieß es nebulös.Experten rätseln, was es mit diesem Vorhaben auf sich haben könnte und wie es in die Tat umzusetzen wäre. Das sei “leichter gesagt als getan”, sagte Handelsexperte Jack Caporal vom Center for Strategic & International Studies (CSIS) der Börsen-Zeitung. Jährliche Direktinvestitionen im zweistelligen Milliarden-Dollar-Bereich, die Größe des chinesischen Marktes und vorhandene Lieferketten erforderten “einen beispiellosen Kraftakt” der US-Regierung, um Unternehmen von dem Vorhaben zu überzeugen. Caporal vermutet, dass es der Regierung gar nicht so sehr um Medizinprodukte geht, sondern eher um Hightech-Produkte, die auch in Chinas Industriestrategie eine wichtige Rolle spielen. Er verweist darauf, dass die Trump-Regierung bereits den Export von Halbleitern und Ausrüstung zu deren Herstellung mit Exportkontrollen eingeschränkt hat.Wie es noch gehen könnte, zeigt der Blick nach Japan und Indien. Die dortigen Regierungen versuchen neuerdings mit finanziellen Anreizen, Unternehmen das Verlagern von Produktionsstandorten aus China in ihre Heimat schmackhaft zu machen. So stellt die Regierung in Tokio den Unternehmen in Aussicht, für bis zu zwei Drittel der Umzugskosten aufzukommen, wenn sie ihre Fabriken in die Heimat oder benachbarte südostasiatische Staaten verlagern. Dafür hat sie umgerechnet mehr als 2 Mrd. Euro in den Haushalt eingestellt (siehe BZ vom 23. April). Auch Brüssel denkt umDirekte Subventionen oder Steueranreize kämen auch für Washington in Frage. Außerdem setzt die Trump-Regierung offenbar auf ein Bündnis mit einem halben Dutzend Staaten aus dem pazifischen Raum, darunter Australien, Indien und Vietnam. “Aufgrund steigender Arbeitskosten in China haben US-Firmen Produktion teilweise bereits in Länder wie Vietnam verlegt”, sagt Caporal. Der Handelskrieg habe diese Trends verstärkt. Die Initiative bedeute nicht notwendigerweise das Ende des im Januar geschlossenen Teilabkommens mit China, in dem Peking Importzusagen über 200 Mrd. Dollar gemacht hat. Greife Washington hingegen zu weiteren Zöllen, um eine Neuordnung von Lieferketten zu erzwingen, “ist das Ende des Phase-1-Abkommens vermutlich besiegelt”.Aus dem Munde europäischer Politiker klingt das Ganze eine Spur subtiler als in den USA, die Richtung aber ist ähnlich. Von der Idee “europäischer Champions” hat die EU-Kommission in ihrer Industriestrategie zwar einstweilen Abstand genommen, sie betont aber die Bedeutung von Schlüsseltechnologien und zielt darauf, industrielle Produktion “in einigen Sektoren” in den Binnenmarkt zurückzuholen. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat immer wieder betont, die Industriestrategie zu einem Kernanliegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr machen zu wollen. Industriekommissar Breton setzt dafür den Ton: Die EU habe “die Globalisierung womöglich zu weit getrieben” und verlasse sich zu sehr auf “ein Land, einen Kontinent”.