Konjunktur

Rezession in Deutschland rückt näher

Ist ein Wirtschaftsabschwung in Deutschland ausgemachte Sache? Das ist unter Experten umstritten. Der Wirtschaftsmotor stottert jedenfalls beträchtlich – und nun kommen weitere Probleme hinzu.

Rezession in Deutschland rückt näher

ms Frankfurt

Die Lage der deutschen Industrie verschlechtert sich immer weiter – was auch das Risiko einer ausgewachsenen Rezession in Deutschland erhöht. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Bestellungen für die Industrie im Juni den fünften Monat in Folge zurückgegangen sind – nachdem auch der Wert für Mai von einem ursprünglich gemeldeten leichten Plus auf ein Minus revidiert wurde. Zudem nehmen die potenziellen Probleme für die Industrie weiter zu. Zu der schwelenden Gaskrise und der hohen Inflation gesellen sich nun Gefahren wie der Taiwan-Konflikt und der niedrige Wasserstand des Rheins.

Die Wirtschaft in Deutschland ist bereits stark ins Schlingern geraten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte im Frühjahr gegenüber dem Vorquartal – nachdem es zum Jahresauftakt noch um 0,8% zugelegt hatte. Vielen Firmen setzen insbesondere die Folgen des Ukraine-Kriegs und ein langfristig andauernder Gasmangel zu. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spricht schon von der „größten Energiekrise in Deutschland“.

Das Statistische Bundesamt (Destatis) meldete nun am Donnerstag, dass die Auftragseingänge für die Industrie im Juni um 0,4% im Vergleich zum Mai zurückgegangen sind. Von Reuters befragte Experten hatten zwar einen doppelt so starken Rückgang um 0,8% erwartet. Allerdings ergab sich für den Mai aufgrund einer Revision ein Auftragsminus von 0,2%. In einem vorläufigen Wert war noch von einem Plus von 0,1% die Rede gewesen. Maßgeblich für die sinkenden Auftragseingänge im Juni war laut Statistikamt der Rückgang der Bestellungen von außerhalb der Eurozone um 4,3%.

Angesichts der erhöhten Unsicherheit durch den Ukraine-Krieg und einer drohenden Gasknappheit verlaufe die Entwicklung der Nachfrage weiterhin schwach, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium: „Der Ausblick für die Industriekonjunktur bleibt bei abgekühltem Geschäftsklima zurückhaltend.“

Volkswirte äußerten sich sehr viel deutlicher. „Aus Sicht der Industrie war das zweite Quartal zum Vergessen“, sagte etwa Andreas Scheuerle von der DekaBank. Gegenüber dem ersten Quartal 2022 sei der Auftragseingang um 5,6% gesunken. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte: „Der fünfte Rückgang der Auftragseingänge in Folge zeigt, wie die deutsche Wirtschaft unter dem Nervenkrieg um das Gas und unter der hohen Inflation leidet.“ Krämer weiter: „Der noch sehr hohe Auftragsbestand dürfte am Ende nicht verhindern, dass die wirtschaftlichen Probleme auf die Industrieproduktion durchschlagen werden. Die Gefahr einer Rezession steigt.“

Zumindest einige Volkswirte halten dagegen und argumentieren, dass eine Rezession keineswegs ausgemacht sei. Sie verweisen auf die hohen Ersparnisse, die tendenziell den Konsum stützten, und auf den hohen Auftragsbestand, der es den Unternehmen erlaube, auch bei einer vorübergehenden Auftragsflaute oder Stornierungen von Aufträgen ihre Produktion auszuweiten, wenn die Lieferengpässe nachlassen.

Ob es dazu bald kommt, ist aber ungewiss. Zwar gibt es erste Signale für eine leichte Entspannung bei den Lieferkettenproblemen. Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, warnte aber am Donnerstag, dass sich der Materialmangel jetzt auch durch den Taiwan-Konflikt noch zu verschärfen drohe. Nach einem Besuch der US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan hat China Militärmanöver begonnen, die die Ausfuhrmöglichkeiten Taiwans einschränken.

Als weiteres Problem kommen die niedrigen Pegelstände des Rheins hinzu, die zunehmend den Gütertransport auf dem Wasser beeinträchtigen. Nicht zuletzt für den Transport von Kohle ist der Rhein wichtig. „Die niedrigen Wasserstände sind ein Déjà-vu der Probleme von 2018 und verschärfen die Kapazitätsengpässe in der deutschen Binnenschifffahrt“, schreiben die Volkswirte der Deutschen Bank in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie: „Während die wirtschaftlichen Auswirkungen 2018 eher gering waren, könnten sie dieses Mal angesichts der kritischen Logistik fossiler Brennstoffe beträchtlicher sein.“

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