Geldpolitik

Rom zweifelt EZB-Unab­hängigkeit an

Angesichts des beispiellosen Zinserhöhungskurses der EZB wächst die Nervosität und Kritik in Italien. Ein enger Vertrauter von Regierungschefin Giorgia Meloni stellt nun sogar die Unabhängigkeit der Notenbank in Frage.

Rom zweifelt EZB-Unab­hängigkeit an

ms/bl Frankfurt/Mailand

Der Streit zwischen Italien und der Europäischen Zentralbank (EZB) über die Geldpolitik spitzt sich weiter zu. Ein enger Vertrauter von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, Verteidigungsminister Guido Crosetto, stellte nun sogar die Unabhängigkeit der Notenbank in Frage. Das italienische Wirtschaftsministerium veröffentlichte zugleich Berechnungen, denen zufolge die Zinserhöhungen den Staat binnen drei Jahren 84 Mrd. Euro kosten werden – was die öffentliche Stimmung in Italien gegen die EZB anheizen dürfte. Die EZB hält bislang aber an ihrem Plan weiterer kräftiger Zinserhöhungen fest.

Weitere Zinsschritte avisiert

Seit Juli hat die EZB ihre Leitzinsen um 250 Basispunkte und damit so aggressiv angehoben wie nie zuvor. Grund ist die Inflation, die im Oktober bis auf 10,6% hochgeschnellt war und mit zuletzt 10,1% im November immer noch weit oberhalb des EZB-Ziels von 2,0% lag. Zugleich nimmt aber die Gefahr einer Rezession im Euroraum zu. Deswegen wächst die Kritik am EZB-Kurs – unter Ökonomen, aber auch in Teilen der Euro-Politik. Italiens Politiker kritisieren insbesondere auch, dass die EZB ihre Nettostaatsanleihekäufe beendet hat und nun sogar mit dem Abbau ihrer aufgeblähten Bilanz beginnen möchte. Rom hat besonders von den Käufen profitiert.

Seit Mitte Dezember hat der Streit zwischen Italien und der EZB noch einmal gehörig Fahrt aufgenommen. Bei der letzten Zinssitzung im Jahr hatte der EZB-Rat zwar das Tempo seiner Zinserhöhungen von zuvor 75 auf 50 Basispunkte etwas gedrosselt. Zugleich hatte er aber überraschend mehr Zinserhöhungen als zuvor und länger als erwartet höhere Zinsen in Aussicht gestellt sowie den Start des Bilanzabbaus ab März beschlossen. Meloni hatte daraufhin in ihrer Jahresende-Pressekonferenz­ gesagt, dass es für die EZB „ratsam“ wäre, „nachteilige Entscheidungen zu vermeiden“. Bestärkt sehen sich die Kritiker durch die Ende 2022 wohl weiter deutlich gesunkene Inflation im Euroraum (siehe Text unten).

Auch Italiens Verteidigungsminister Crosetto, der zur Rechtspartei von Meloni gehört, untermauerte nun seine Kritik und ging sogar noch eine Eskalationsstufe weiter – indem er die Unabhängigkeit der EZB in Frage stellte. „Wir haben unabhängigen Gremien, die nur sich selbst gegenüber rechenschaftspflichtig sind, die Möglichkeit gegeben, das Leben der Bürger und die Wirtschaft zu gestalten, mit mehr Macht als die Europäische Kommission und vor allem als die nationalen Regierungen“, sagte Crosetto am Mittwoch der Zeitung „La Repubblica“. „Ist es legitim zu fragen, ob das richtig ist?“ Auf Zweifel an ihrer Unabhängigkeit hat die EZB in der Vergangenheit stets sehr alarmiert reagiert.

Crosetto bezeichnete die EZB-Entscheidung zur Erhöhung der Kreditkosten angesichts der hohen Inflation zwar als „verständlich“. Die Beendigung der Nettokäufe von Staatsanleihen jedoch sei „schwieriger zu verstehen und zu rechtfertigen“, sagte er. Rom muss in diesem Jahr etwa 367 Mrd. Euro an fällig werdenden Schulden refinanzieren. Inklusive der Kredite im Rahmen des EU-Wiederaufbauprogramms und anderer Maßnahmen könnten bis zu 510 Mrd. Euro aufgenommen werden müssen.

Nach Berechnungen des Wirtschaftsministeriums kostet der Zinsanstieg Italien im Zeitraum 2023 bis 2025 etwa 84 Mrd. Euro in Form zusätzlicher Zinszahlungen. Nach früheren Zahlen aus dem April 2022 hätte Rom in dieser Zeit 186 Mrd. Euro für den Schuldendienst zahlen müssen. Die diversen Zinserhöhungen seither und das für 2021 geplante Haushaltsdefizit von 21 Mrd. Euro treiben den Angaben zufolge die Zinszahlungen nun auf 270 Mrd. Euro. Dabei sind mögliche weitere Zinserhöhungen ebenso wenig berücksichtigt wie ein eventuell wachsender Spread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen. 2022 hatte Italien bei Neuemissionen durchschnittlich 1,71% gezahlt – gegenüber 0,59% im Jahr zuvor.

Experten halten das in Höhe von 150% des Bruttoinlandsprodukts verschuldete Land für die Achillesferse Europas. Auch in der Regierung und in der Wirtschaft wächst die Nervosität. Neben Meloni und diversen Ministern haben zuletzt auch der Präsident des Bankenverbandes, Antonio Patuelli, und Confindustria-Chef Carlo Bonomi die EZB aufgefordert, vorerst keine weiteren Zinserhöhungen vorzunehmen.

Die EZB hat bislang aber keine Signale gegeben, von dem Plan weiterer Zinserhöhungen abzurücken. Der lettische Zentralbankchef Martins Kazaks hatte erst am Dienstag gesagt, dass er bei den Sitzungen im Februar und März „deutliche Zinserhöhungen“ erwarte. Auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel hatte zu Jahresbeginn erklärt, dass es weiter spürbare Zinsschritte brauche.

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